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Philipp Schwander in den Medien
Genial oder vergammelt? Interview in der NZZ am Sonntag
Für sie ist Naturwein eine Offenbarung, ihm beschert das Wort schon Kopfweh: Die Bieler Winzerin und Önologin Anne-Claire Schott und der Weinpapst und -händler Philipp Schwander aus Zürich streiten über Genuss.
Interview geführt von Urs Bühler für NZZ am Sonntag MAGAZIN, Ausgabe 01/12/2024
Wieso soll man noch Wein trinken?
ANNE-CLAIRE SCHOTT: Wein ist ein wichtiges kulturelles Gut,
und der gemeinsame Weingenuss ist megasozial. Wein verbessert ein feines Essen
und umgekehrt. Dabei sind viele Emotionen im Spiel, und er ist etwas sehr
Vergängliches, immer wieder in einem anderen Zustand. Gerade darum ist er ein Fluchtort
in der heutigen Gesellschaft, in der alles kontrolliert ist.
PHILIPP SCHWANDER: Ich stimme in allen Punkten zu. Diese Erlebnisse mit guten Freunden
sind zum Glück unvergänglich, und Wein bereichert mit unglaublich vielfältigen Geschmacksnuancen
das Leben. Natürlich in moderaten Mengen genossen.
Die WHO rät zur Nulltoleranz, stellt Alkohol an den Pranger:
Schon ein Schluck pro Tag könne die Gesundheit schädigen, wird behauptet. Was
halten Sie von dieser Verteufelung?
SCHOTT: Man kann alles schwarzmalen. Ich finde es in diesem
Fall nicht ganz berechtigt. Alkoholsucht ist viel weniger verbreitet als zum
Beispiel die Handysucht, deren Auswirkungen noch kaum erforscht sind. Heute
sind alle ständig vor ihren Handys, das wird nicht verboten. Was das mit uns
macht, mit unseren Hirnen, unseren Sinnen, unserer Selbständigkeit! Natürlich ist
Alkohol nicht gesund, sogar toxisch. Und doch kann sein Genuss gut sein für die
Gesellschaft und die Psyche.
SCHWANDER: Meine Meinung dazu habe ich schon diverse Male
geäussert, deshalb hier nur so viel: Die zwei bei der Anti-Alkohol- Kampagne
der WHO tonangebenden Leute sind militante Alkoholgegner, die jedes Mass
verloren haben. Ernährungsfragen werden zudem für manche zur Ersatzreligion. Wir
hatten noch nie so sichere Lebensmittel wie heute, und nie war die Angst, sich
an Nahrung zu vergiften, so gross. Europa hat viele Probleme, aber je länger,
je weniger ein Alkoholproblem. Auch darum
erstaunt mich diese Kampagne gegen den Alkohol. Noch nie wurde bei uns in den letzten
hundert Jahren so wenig getrunken.
Wie wirkt sich die neue Abstinenz auf Ihren Geschäftsgang
aus, Frau Schott?
SCHOTT: Die Menge pro Person ist stark gesunken, dafür hat
sich mein Kundenkreis erweitert: Die Leute trinken weniger, dafür bewusster.
Ein Glas hochwertiger Wein zu einem guten Essen, das wird immer noch genossen.
Und lokale Tropfen liegen im Trend. Meine Jahrgänge sind normalerweise innerhalb
von ein bis zwei Jahren ausverkauft, wir bewegen uns in der Preisspanne von 18
bis 55 Franken. Der Rückgang aber betrifft vor allem sehr preisgünstige Weine.
Günstige Weine sind doch die Stärke Ihrer Firma, Herr
Schwander?
SCHWANDER: 15 Franken sind kein allzu hoher Preis, aber
günstig ist relativ: Frau Schott spricht von Literflaschen für ein paar
Franken, das hat stark an Bedeutung verloren. Als in den 1960er Jahren in
Italien der Konsum bei 250 Litern pro Kopf lag, Säuglinge und Greise inklusive,
stellte man Wein noch wie Wasser auf den Tisch: Das war einfach ein Getränk.
Heute ist es ein Genussmittel.
Wie entwickelt sich Ihr Geschäftsgang?
SCHWANDER: Er ist relativ stabil. Wir müssen uns aber schon
überlegen, wie wir den jungen Leuten Weingenuss schmackhaft machen können:
Gerade diese trinken, wenn sie überhaupt noch Alkohol konsumieren, vor allem
Spirituosen und Bier. Der Grund sind internationale Konzerne, die Werbung im
grossen Stil machen können, anders als kleine Winzer. Als ich 2003 meine Firma
gründete, gab es in der Schweiz etwa 2500 Weinhändler, und der Weinkonsum lag
bei 47 Litern pro Kopf. Jetzt sind es noch 33 Liter – bei 4200 Weinhändlern.
Wenn das so weitergeht, wird das nicht so spassig, für Händler wie für
Produzenten.
Dabei gehört zum wenigen, was auf der Welt seit der
Jahrtausendwende besser geworden ist, der Schweizer Wein: Teilt der Weinpapst
Schwander diese Ansicht?
SCHWANDER: Unbedingt. Entscheidend war die Liberalisierung
des Importregimes im Jahr 2001, für die ich auch mitkämpfte. Als es noch diesen
Schutz vor allem des einheimischen Weissweins gab, kroch ich jeweils auf Knien
zu Westschweizer Winzern, um überhaupt etwas zu erhalten, egal zu welcher
Qualität und zu welchem Preis. Dass der Schweizer Wein dann der internationalen
Konkurrenz ausgesetzt wurde, trug enorm zu seiner Qualitätssteigerung bei.
Heute gibt es viele tolle Schweizer Weine. Das Geld liegt nicht auf der
Strasse, aber als Qualitätswinzer kann man ein gutes Auskommen haben. Die
Nachfrage ist bei vielen grösser als die Produktion. Auf seiner Ware sitzen
bleibt, wer keine gute Qualität bietet.
Was halten Sie von alkoholfreiem Wein?
SCHOTT: Wenig bis nichts. Der Alkoholentzug zerstört den
Wein. Da trinkt man lieber selbstgefertigte Alternativen aus dem Weinglas, wie
das in der alkoholfreien Speisebegleitung oft schon angeboten wird.
SCHWANDER: Mich hat bis jetzt noch kein alkoholfreier Wein
überzeugt – frischer Apfel- oder Traubensaft schmeckt prima und ist erst noch
viel günstiger. Bei Bier scheint es dagegen gut zu funktionieren, da lässt sich
der fehlende Alkohol durch eine stärkere Hopfung übertünchen.
Als fast so trendig wie Alkoholverzicht gilt Naturwein. Er
wurde in den letzten Jahren so gehypt, dass in manchen Kreisen als Banause
galt, wer sich nicht zu Orange Wine bekannte. Warum soll man Naturwein trinken,
Frau Schott?
SCHOTT: Unbedingt nur, weil man ihn gerne hat! Bei
Naturweinen, die aus önologischer Sicht einwandfrei sind, gerade bei Orange
Wines, entfaltet sich eine Aromapalette, die einfach grössere Aha-Effekte auslöst
als bei konventionellen Weinen. Das kann extreme Emotionen auslösen.
Also auch negative.
SCHOTT: Ja. Was starke Emotionen auslöst, ist immer auch
zweischneidig, polarisiert. Das macht diese Gratwanderung aus, im Weinbau wie
in der Kunst. Was perfekt und mehrheitsfähig ist, löst weniger Gefühle aus.
Auch ich habe Weine mit Ecken und Kanten, und die müssen nicht allen gefallen.
Herr Schwander, welche Emotionen löst das Stichwort
«Naturwein» bei Ihnen aus?
SCHWANDER: Sehr gemischte. Den Wein so natürlich wie möglich
herzustellen, finde ich richtig und gut. Ein bekömmlicher Wein entsteht mit
möglichst wenig Intervention. Bis zu diesem Punkt sind wir uns alle einig. Aber
bei Naturwein steckt viel Bschiss und Scharlatanerie dahinter, und weil ich das
so oft erlebt habe, bin ich allergisch auf den Begriff. Er ist für mich
irreführend: Es wird suggeriert, das Ergebnis sei bekömmlicher und natürlicher,
was überhaupt nicht zutrifft. 90 bis 95 Prozent der Naturweine auf dem Markt
sind schlicht fehlerhaft, typisch sind eine trübe Farbe und sauerkrautähnliche Aromen, die mir massiv auf
den Keks gehen. Sie stammen sehr oft von unerwünschten Milchsäurebakterien beim
biologischen Säureabbau. Das wiederum führt zu biogenen Aminen und Diacetyl –
beides alles andere als gesund.
Wie kommen Sie auf diese Befunde?
SCHWANDER: Ich degustiere oft Naturweine, und wir lassen
regelmässig welche analysieren, die uns zum Vertrieb angeboten werden. Das
Hauptproblem ist der Verzicht auf Schwefel, das führt zu einem unerwünschten Nährboden
für Bakterien und Hefen. Diese sind zum Teil wirklich bedenklich, für
Allergiker in diesem Zusammenhang vor allem das Histamin. Das führt dann zu
Weinen, die genau das Gegenteil von dem sind, was sie suggerieren möchten. Den
Leuten wird dann vorgemacht, das sei die Natur, dabei ist es einfach
fehlerhaftes Winemaking. Das ist, als würde ein Metzger leicht vergammeltes Fleisch als naturnah verkaufen
mit dem Hinweis, früher habe es auch keine Kühlschränke gegeben. Dem Missbrauch
ist ein Riegel zu schieben, «Naturwein ist kein geschützter Begriff. Bald wird er
ziemlich sicher gar verboten, wie mir kürzlich Monika Christmann mitteilte, die
Leiterin des Instituts für Önologie an der Universität Geisenheim. Wein ist
nicht nur Natur, sondern ein Kulturgetränk. Er wächst ja nicht als Wein am
Stock.
Wir wollen nicht in Wortklaubereien verfallen. Aber sollte
der Begriff ersetzt werden, Frau Schott?
Schott: Ich finde «Naturwein» einen sehr schönen Begriff, es
ist ja einfach vergorener Traubensaft. Aber auch ich denke, man müsste das Wort
ersetzen. Vermutlich wird sich etwas wie «méthode vin nature» durchsetzen wie
in Frankreich, damit könnte ich leben. Ich gebe Philipp Schwander auch darin
recht, dass es unter diesem Begriff alles Mögliche gibt, auch viel Schlechtes. Doch
das ist beim konventionell gefertigten Wein ebenso, nur wird es bei Naturweinen
immer hervorgehoben. Als Önologin weiss ich, was Weinfehler sind und was nicht.
Über die flüchtige Säure kann man diskutieren: Naturweine vertragen sicher mehr
davon als gefilterte, leichte Weine, die konventionell gekeltert sind. Aber wie
Sauerkraut darf es nicht schmecken, ganz klar.
Wie vermeidet man das beim Fertigen?
Schott: In Frankreich ist bei Naturwein ein Minimum an
Schwefel zugelassen. Das ist sicher ein guter Ansatz zur Stabilisierung, die
eine extrem schwierige Aufgabe ist. Man muss die Gärung eng verfolgen. Allgemein
benötigt die Fertigung von Naturweinen zwar kaum Geräte, aber viel Kontrolle,
damit sie gut kommen, man kann sie nicht einfach sich selbst überlassen. Es
braucht viel Wissen, Analyse, ständige Überwachung. Das können sich kleine
Produktionen leisten, die nahe genug beim Wein bleiben. Für grosse Hersteller
ist es kaum möglich. Naturwein hat mich schon immer fasziniert in dem Sinn, mit
möglichst wenig Zusätzen einen möglichst genialen Wein zu machen. Natürlich
gelingt auch mir nicht immer alles, ich musste schon Weine wieder vom Markt
nehmen oder konnte andere nicht abfüllen. Das gehört einfach dazu. Das Risiko
ist gross, dass es nicht gut kommt. Wenn man es aber schafft, dass es gut kommt,
wird es wirklich gut und besonders bekömmlich. Da können konventionell gemachte
Weine einfach nicht mithalten.
Schwander: Ich habe keine Ahnung, wie Anne-Claire Schotts
Weine schmecken, unterstelle jetzt aber einmal, dass sie hervorragend sind.
Doch es gibt viele Scharlatane. Offiziell ist nichts reglementiert, es muss
nicht einmal biologischer Anbau sein.Jeder
kann «Naturwein» auf seine Flaschen schreiben.
Schott: Das stimmt leider, und es schadet der Grundidee.
International gesehen, mag es viele fehlerhafte Naturweine geben. Mich würde es
aber sehr erstaunen, wenn 95 Prozent der Schweizer Naturweine schlecht sein
sollten. Ich lade Sie herzlich an unser jährliches Naturweinfestival im August
ein, wo 95 verschiedene Tropfen zu probieren sind. Organisiert wird es vom
Verein Schweizer Naturwein, dessen
Charta unter anderem festlegt, dass Biotrauben zu verwenden sind. Natürlich
kann man aus konventionell angebauten Trauben keinen Naturwein machen, das
widerspräche sich.
Was gibt dieser Verein, den Sie vor drei Jahren
mitgründeten, sonst noch vor?
Schott: Es muss eine natürliche Vergärung stattfinden, man
soll auf Schwefel verzichten, darf aber CO2 oder Stickstoff einsetzen, kühlen,
wärmen, pumpen. Minimale önologische Interventionen sind erlaubt.
Aus etwa einem Drittel des Ertrags Ihrer 4,5 Hektaren
umfassenden Rebberge keltern Sie Naturwein, zu dessen Pionierinnen Sie
hierzulande gehörten . . .
Schott: . . . es gab viele vor mir. Vielleicht habe ich es
etwas bekannt gemacht. Mittlerweile ist der Anteil der Naturweinproduktion etwas
tiefer, denn ich brauche manchmal Schwefel bei der Abfüllung.
Schwander: Zum Glück gehören Sie nicht zu denen, die den
Schwefel verteufeln! Dies ist verhängnisvoll, weil es Winzer zu risikoreichem Verhalten
animiert. Dann oxidieren ihre Weine oder gehen kaputt. Das Problem wird noch
wachsen mit der Klimaerwärmung. Sie kommt dem Schweizer Wein zwar sehr zugute, führt aber zu
erhöhtem pH-Werten und damit zu instabileren, anfälligeren Weinen. Schwefel ist
eines der wichtigsten Elemente, ohne ihn wäre kein Leben und kein Wein möglich.
SCHOTT: Den Schwefel darf man nicht verteufeln, das Gift im
Wein ist der Alkohol. Aber in der industriellen Produktion wird viel zu viel
Schwefel eingesetzt, sie führte in einen Teufelskreis. Bis in die 1980er Jahre
praktizierte man vieles, was nahe am Naturwein war, etwa Spontangärung. Dann
kam die technische Entwicklung, man begann Reinzuchthefe und vieles mehr einzusetzen.
Ich fragte mich irgendwann: Sind wir Chemiker oder Winzer? Mit der Naturweinbewegung
schlägt das Pendel zurück. Der industrielle Ansatz wird infrage gestellt: Er
schönt die Seele des Weins oft weg. Man verarbeitet ihn so stark, um ihn zu
standardisieren, da sind keine Emotionen mehr drin.
SCHWANDER: Auch da muss ich klar widersprechen. Viele
konventionell produzierte Weine haben sehr viel Charakter. All die grossen
Bordeaux und Burgunder sind bis vor kurzem überhaupt nicht biologisch gefertigt
worden, es sind sensationelle Weine darunter. Und wer behauptet, ein
traditionell arbeitender Winzer liefere ein gesundheitsbedenkliches Produkt,
liegt schlicht falsch.
SCHOTT: Das sage ich ja gar nicht. Fakt ist, dass im
konventionellen Bereich zu viele Stoffe zugelassen sind, die Liste ist riesig.
SCHWANDER: Da wird jetzt eine Angst geschürt, die völlig
unnötig ist. Teilweise ist mit den Zusätzen gerade bei Billigweinen etwas
übertrieben worden, und es ist richtig, dass das Pendel zurückschlägt. Aber wie
Natur- ist auch Biowein nichtgrundsätzlich
bekömmlicher als anderer Wein. Auch ein konventioneller Winzer operiert nicht
mit dem Giftschrank, wenn er eine Schönung macht, er wählt seine Zusatzstoffe
seriös aus. Gespritzt wird viel weniger als vor zwanzig Jahren, und die heutigen
Schwefeldosen sind gesundheitlich absolut unbedenklich. Wein ist ohnehin eines
der rückstandsärmsten Lebensmittel, viele Stoffe werden während der Gärung in
harmlose umgewandelt und bei der Lagerung dann ausgeschieden. Das Schlimmste am
Wein ist nach wie vor der Alkohol, es sind nicht die Zusätze.
Und die im Naturweinbau verpönte Reinzuchthefe?
SCHWANDER: Sie kann das Produkt uniformer machen, sorgt aber
sicher nicht für mehr Schadstoffe, im Gegenteil: Mit Naturhefe können bei der
Gärung durchaus Stoffe entstehen, die gesundheitlich nicht ganz unbedenklich
sind. Eines der Hauptprobleme gerade im biologischen Weinbau ist das
Schwermetall Kupfer, manche Böden sind davon so vergiftet, dass man keine Kinder
mehr drauf spielen lassen kann.
SCHOTT: Kupfer wird auch im konventionellen Anbau verwendet. Diese Lasten stammen von unseren Vorfahren, die Kupfer zum Teil kiloweise ausbrachten. Ich habe
sogar in diesem Regenjahr 2024 nur einen Bruchteil der früher üblichen Mengen
eingesetzt.
Sie haben gerade Ihre Ernte eingebracht. Sie ist sie
ausgefallen?
SCHOTT: Ich hatte noch nie eine so späte und so nasse Ernte
– und eine so lange: Wir haben über drei Wochen hinweg Trauben gelesen, mussten
immer wieder abbrechen wegen des Regens. Obwohl es ein schwieriges Jahr war und
wir wegen Frosts einen Teil der Ernte verloren haben, bin ich mit der Menge
zufrieden. Wir konnten viele Trauben retten, auch dank unserem Demeter-Spritzplan.
Der umfasst Kupfer und Schwefel wie beim biologischen Anbau, aber zusätzlich
weitere Stoffe wie Tee und ätherische Öle.
Die Demeter-Regeln beruhen auf den Ideen von Rudolf Steiner
und beziehen Aspekte wie Mondphasen ein. Das dürfte für manche esoterisch
klingen.
SCHOTT: Das ist alles andere als esoterisch, es ist Physik.
Wir sind es einfach nicht mehr gewohnt, auf diese Dinge zu achten. Der Mond hat
einen grossen Einfluss auf das Wasser, und wie wir selbst sind auch die Reben
voller Wasser. Aber der Mond ist nicht das Leitmittel bei diesen Prinzipien.
Wenn es Katzen hagelt, hilft es auch nichts, wenn der Mond gut steht.
SCHWANDER: Auf die Mondphasen zu achten, ist überhaupt kein
Hokuspokus, sondern völlig berechtigt. Die ganze Biobewegung hat sehr viel
Gutes ausgelöst mit dem Grundsatz, möglichst wenig Stoffe einzusetzen. Aber sie
hat zu viele Dogmen, zu viel Schwarz- Weiss-Denken. Im Jahr 2024 werden sehr viele
Winzer, nicht nur in Frankreich und Deutschland, mit biologischem Weinbau aufhören
müssen, weil sie finanziell nicht über die Runden kommen. Warum zum Beispiel dürfen
Biobetriebe nicht einmal biologischabbaubare
Pflanzenschutzmittel in einem frühen Stadium ausbringen, wie es in der
integrierten Produktion in Notfallsituationen erlaubt ist? Bei einer schweren
Krankheit hilft es auch nicht, mit Globuli zu arbeiten, da braucht’s andere
Medikamente.
SCHOTT: Das ist eine Einstellungssache. Ich brächte es nie
übers Herz, irgendein konventionelles Mittel auf meine Reben zu spritzen. Da
würde ich lieber aufhören. Wir können nicht von der Erde leben und sie
gleichzeitig vergiften. Ich bin sehr dankbar für die Konsequenz von Bio Suisse
und unterstütze das voll. Bio-Standard muss einfach bio sein, sonst hintergeht
man auch die Konsumenten.
Wie viele Bio- und wie viele Naturweine enthält Ihr
Sortiment, Herr Schwander?
SCHWANDER: Bioweine bieten wir relativ viele, aber ich suche
nicht explizit danach. Wichtig ist für mich der Winzer, ich muss ihm trauen
können. Naturweine bekomme ich oft angeboten, ins Sortiment hat es erst einmal einer
geschafft. Er schmeckte recht gut, war auch analytisch problemlos. Aber der
nächste Jahrgang fiel in beiden Bereichen durch, da mussten wir ihn wieder
rausnehmen.
Gibt es Traubensorten, die sich gar nicht für Naturwein
eignen?
SCHOTT: Grundsätzlich geht es mit allen, aber man kann nicht
alle gleich gut vinifizieren. Mazerierte Weissweine und rote Trauben gehen viel
besser, da sie mit Schale vergoren werden und so mehr Gerb- und Farbstoffe haben,
also stabiler sind. Auch lassen sich Weine auf der Maische leichter spontan vergären
als gepresster Traubensaft im Tank.
Ihr Naturwein Anne-Sombre darf nicht als Tischwein verkauft
werden. Wie kommt denn das?
SCHOTT: Das hat nichts mit Naturwein-Methoden zu tun. Gemäss
Weinverordnung muss ein Rotwein aus roten Trauben bestehen. Anne-Sombre ist ein
Verschnitt, der 25 Prozent weisse Trauben aus einem anderen Kanton enthält.
Damit fällt er durch alle Maschen.
Eine ganze Generation schien mit Naturweinen einen Weg
entdeckt zu haben, Weingenuss vom Anstrich der Bourgeoisie zu befreien
zugunsten einer rebellischen Note. Wird der Trend anhalten, oder ist es nur
eine Modeerscheinung?
SCHWANDER: Dieser Trend war schon immer vor allem ein
Phänomen der grösseren Zentren wie Zürich, London, Paris. Und erfreulicherweise
ist er schon wieder stark am Abflauen, die Verkaufszahlen gehen zurück. Das
bestätigen mir viele Sommeliers und Winzer, die europaweit verkaufen. Sie sagen
unisono, der Hype sei stark rückläufig, weil sehr viele dieser Weine nicht
einwandfrei seien. Die Delinat-Naturweinbar in Winterthur stellt ihren Betrieb
ein, weil es nicht mehr läuft. SCHOTT: In den grossen Städten gibt es sicher immer noch
eine starke Naturweinszene, sie ist auch ein Teil der Öko-Regional-Blase. Ich verkehre
nicht so in diesen Hype-Zentren, aber am Wachsen scheint das Ganze tatsächlich nicht
mehr zu sein. Meine Weine jedenfalls verkaufen sich weiterhin sehr gut, auch in
der Gastronomie, da sie sich toll fürs Food- Pairing eignen.
Unlängst wurden in einem Zürcher Restaurant zwei
verschiedene Weine entkorkt, die am Vierertisch niemand mochte. Erst da räumte
die Angestellte ein, man schenke fast nur Naturweine aus. Sollte das nicht gleich
auf der Karte deklariert sein?
SCHWANDER: Ich fände das sinnvoll, damit sich die Gäste
nicht vor den Kopf gestossen fühlen. In Barcelona war ich einmal in einer ähnlichen
Situation, da gaben wir es nach der dritten oder vierten Flasche entnervt auf und
verliessen das Restaurant gleich nach dem Hauptgang.
SCHOTT: Ich werde, mit umgekehrten Vorzeichen, genau gleich
enttäuscht – wenn ich nämlich in einem Restaurant bin, das nur konventionelle
Weine auf der Karte hat.