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Philipp Schwander in den Medien
| Bordeaux
Das Wunder von Bordeaux - NZZ vom 9. Juni 2022
Selten war ich von einer Verkostung der Primeurs derart angenehm überrascht. Der Jahrgang 2021 weist indes das gesamte Qualitätsspektrum auf: Von grossartig bis miserabel ist alles vertreten. Die Verkaufspreise der 2021er liegen leider zu hoch.
Offen gestanden erwartete ich nicht viel vom Jahrgang 2021, als ich mit unserer kleinen Gruppe Anfang Mai
in Bordeaux eintraf. Nur zu gut war mir der verregnete Sommer in Erinnerung wie auch die gehäuft negativen Berichte der Winzer aus verschiedenen Teilen Mitteleuropas. Glücklicherweise fällt die qualitative Einordnung eines Jahrgangs etwas leichter, wenn man bereits seit den 1980er Jahren die Bordeauxweine vom Fass verkostet. Teilnehmer hingegen, die Bordeaux erst seit einer Dekade degustieren, erlebten eine mehrheitlich sonnenverwöhnte Periode mit entsprechend alkoholreichen und wuchtigen Weinen.
2021 erinnerte mich unmittelbar an manche Jahrgänge der 1980er und 1990er Jahre, die einen tieferen Alkoholgehalt sowie eine deutlich kühlere Aromatik und Textur aufwiesen. Denn an Bordeaux fasziniert ja nicht Wucht, sondern noble Eleganz und diese findet sich erfreulicherweise bei den besten 2021ern. Sie wurden im übrigen auch um ein Vielfaches besser und präziser vinifiziert als ihre Vorgänger vor dreissig Jahren; die Arbeit in Rebberg und Keller hat sich stark verändert und ist heute ungemein aufwendiger. So werden beispielsweise die Parzellen nicht mehr gleichzeitig, sondern gezielt bei jeweils optimaler Reife gelesen und separat vergoren. Um den Charakter des Jahrgangs besser zu verstehen, werfen wir wie gewohnt einen Blick zurück auf den Wetterverlauf.
Wetter in Bordeaux
Auf einen niederschlagsreichen Dezember folgten ein ausgesprochen milder Februar und ein frühlingshafter März. Auch der April begann sehr warm mit Temperaturen bis 25 °C (vgl. Tabelle 2). Doch am 7. und 8. April wurde das gesamte Bordelais von starken Frösten
mit Temperaturen bis – 5 °C heimgesucht, die empfindliche Schäden verursachten, ganz besonders im Sauternes. Der Mai war insgesamt recht kühl, ähnlich wie 2014, aber noch deutlich regnerischer, und einige Rebberge waren am 2. und 3. Mai abermals vom Frost betroffen. Während der Blüte im Juni herrschte die ersten zwei Wochen vorteilhaftes Wetter, bevor dann Gewitter und wahrlich sintflutartige Regenfälle hereinbrachen. Es wurde die Rekord-Niederschlagsmenge von 184 mm verzeichnet: Das ist mehr als doppelt so viel wie im Juni sonst üblich und sogar mehr als die Hälfte der gesamten Niederschlagsmenge der Vegetationsperiode im Jahr 2015 (vgl. Tabelle 1)!
Mehltau wie 2018
Zu allem Unglück führten die daraufhin steigenden Temperaturen zu einem feucht-warmen Klima und damit zu idealen Bedingungen für den Falschen Mehltau. Diese 1878 von Nordamerika eingeschleppte Pilzkrankheit sorgt oft für grosse Schäden. Immer mehr Crus Classés betreiben zudem biologischen oder biodynamischen Rebbau, der in derart feuchten Jahren eine riesige Herausforderung darstellt und meist enorme Ertragsausfälle verursacht. So berichtete uns Omri Ram von Château Lafleur: «Wir waren 24 Personen für 21 Hektar und arbeiteten rund um die Uhr. Ein Wunder, dass wir nicht im Rebberg übernachten mussten.» Gerade beim Merlot fielen dort, wo der Pflanzenschutz nicht optimal war, die Schäden teilweise verheerend aus. Da die Traubensorte Merlot gegenüber Trockenheit anfälliger ist als die Cabernet-Sorten, wird sie eher in Parzellen mit höherer Feuchtigkeit kultiviert. Die dünneren Schalen bewirken ausserdem, dass sie viel empfindlicher auf Fäulnis reagiert. Doch dessen nicht genug: Reben, die bereits durch Frost geschädigt wurden, waren geschwächt und litten entsprechend meist auch stärker unter dem Mehltau.
Wetterbesserung ab August
Das kühle, regnerische Wetter hielt sich im Juli. Ende des Monats war die Situation völlig entmutigend und der Mehltau breitete sich immer weiter aus. Hätte es weitere Regenfälle gegeben, wäre die Katastrophe nicht mehr
zu verhindern gewesen. Zum grossen Glück besserte sich das Wetter ab Mitte Juli und hielt sich, nach einem kleinen Unterbruch, vom 8. August bis Anfang September, obwohl die Temperaturen nie wirklich stark anstiegen. Der August blieb mit durchschnittlich 19.8 °C deutlich unter dem langjährigen Schnitt, einzig im August 2014 wurden noch kühlere Temperaturen gemessen. Die konstanten Niederschläge und niedrigen Temperaturen hatten zur Folge, dass die Reben ihr Wachstum viel zu spät einstellten und selbst nach dem Farbumschlag ihre Kraft noch immer in den Wuchs steckten. Immerhin war der September ein wenig wärmer als sonst, allerdings herrschten in den Nächten tiefe Temperaturen.
Der Cabernet profitierte
Ein grosser qualitativer Unterschied bewirkte der Lesezeitpunkt. Obwohl für Oktober schwere Regenfälle vorausgesagt wurden,
war der Monat eigentlich recht sonnig. Doch leider erschwerte die Höhenkaltluft, verlässliche Wettervorhersagen zu treffen, da aufgrund kaum vorhandener Druckzentren die Regenfälle nicht in der Nähe klar definierter Fronten, sondern oft nach dem Zufallsprinzip auftraten. Wer deshalb aus Angst vor dem Regen verfrüht zu lesen anfing, erntete deutlich weniger reife Trauben als jener, der die Nerven bewahrte und zuwartete. Tatsächlich lasen viele Anfang Oktober, obwohl mittlerweile die Mehrheit angibt, spät geerntet zu haben.
Ein schwieriger Jahrgang
Die Qualität der einfachen Weine lässt häufig auf das allgemeine Niveau eines Jahrgangs schliessen. 2021 war die Reife oft ungenügend, mit deutlich tieferen Zuckerwerten und hoher Apfelsäure. Die Traubenbeeren waren – insbesondere beim Merlot – unüblich gross, was ein Nachteil ist. Die teilweise sehr bescheidenen Erzeugnisse zeigen, dass es in erster Linie den Produzenten mit den besten Lagen vorbehalten war, Herausragendes zu realisieren. Und selbst diese mussten einen enormen Aufwand betreiben, um durch Ertragsreduktionen, aufwendige Spritzungen und drakonische Selektionen ihr Ziel zu erreichen. Einfache Produzenten mit geringen finanziellen Mitteln und mässigen Lagen hatten dagegen kaum eine Chance. Auch der vermehrt praktizierte biologische Anbau ist im ozeanischen, oft feuchten Klima des Bordelais eine gewaltige Herausforderung und kann in Jahren wie 2021 und 2018 zu schmerzhaften Ertragsausfällen führen. So ernteten viele Bio-Betriebe um die 20 hl/ha, Pichon-Lalande gar lediglich 15 hl/ha (vgl. Tabelle 3). Nicht zu vernachlässigen sind beim biologischen Rebbau auch die vermehrt erforderlichen Fahrten für das Ausbringen des Pflanzenschutzes, die notabene noch immer mit Dieseltraktoren gemacht werden. So wurden 2021 bei den meisten biologisch arbeitenden Betrieben 15 bis 25 Spritzungen mit Kupferpräparaten notwendig.
Sehr heterogen
Grosse Lage – grosse Weine: Dies traf 2021 sehr oft zu. Die extremen Regenfälle stellten für qualitativ mässige Parzellen mit schlechterer Drainage ein häufig unüberwindliches Hindernis dar. Weniger vorteilhafte Lagen wurden zudem oft vom Frost heimgesucht. Die Rebberge nahe der Gironde – wie beispielsweise Montrose – blieben dagegen weitgehend verschont. Um es vorwegzunehmen: 2021 finden sich sowohl im Médoc wie auch im Libournais herausragende Weine – aber auch ausgesprochen schlechte. Kaum ein Jahrgang der letzten Zeit ist derart heterogen ausgefallen wie der 2021er. Er ist stilistisch ausserdem das pure Gegenteil der üppig-vollmundigen Jahre 2020, 2019 und 2018. Am einfachsten war es für die ‹grands terroirs›, welche die Wetterkapriolen deutlich besser verkrafteten. Beim Witterungsverlauf lassen sich Parallelen zum Jahrgang 2014 ziehen,
der ebenfalls von einem regnerischen, kühlen Sommer geprägt war. Die Durchschnittstemperaturen sind teilweise erstaunlich kongruent (vgl. Tabelle 2), die Erträge lagen 2014 allerdings markant höher. Pierre-Olivier Clouet, technischer Direktor von Cheval-Blanc, meinte: «Wir erreichten glücklicherweise gerade die volle Reife, die ich auf die Tannine bezogen am ehesten als ‹al dente› beschreiben würde.»
Charakter der Weine
Vom Stil her erinnern einige der Weine ein wenig an 1996, 2001 oder 2008, die frucht- betonteren an kräftige 2012er oder 2014er.
Es gibt zahlreiche 2021er, denen es an Kraft und Volumen mangelt, auch die Säure ist prägnanter als sonst. Die besten Gewächse des Jahrgangs 2021 sind dank der deutlich aufwendigeren Arbeitsweise jedoch erstaunlich finessenreich und mit einer noblen Frucht sowie ausgereiften Tanninen ausgestattet. Lagen die Weine der letzten Jahre häufig zwischen 14.5% und 15.5% Alkohol, bewegen sich die cabernetbetonten 2021er um 13%.
So erreichte Lafite 12.6%, Latour 13.1%. Ein tieferer Alkoholgehalt wird heute als positiv angesehen. Dennoch zeigt sich bei Verkostungen, dass meist höherprozentige Weine bevorzugt werden. Bei manchen Erzeugnissen war es deshalb nötig, den Alkoholgehalt mittels Chaptalisation (Zuckerzugabe vor der Gärung) zu erhöhen, eine Praktik, die früher üblich war, aber wegen der sonnenverwöhnten Jahre seit längerem nicht mehr angewandt wird. Der spätreifende, robuste Cabernet profitierte gegenüber dem fäulnisanfälligeren und früher reifenden Merlot ganz besonders
vom schönen Oktober. Auch im Libournais erschienen uns die Cabernet-Franc-Weine
gut gelungen. Einige herausragende Beispiele begeisterten durch ihren klaren, unglaublich feinen, noblen Charakter, den man in dieser Ausprägung äusserst selten findet. Deshalb
ist – auch zu meinem grossen Erstaunen – für den Bordeaux-Freund 2021 ein Jahr, das man selektiv unbedingt im Auge behalten sollte.
Grossartiger Château Margaux
Im Süden des Médoc waren wir heuer besonders beeindruckt von Château Margaux, das einen klassischen, grossen Rotwein erzeugte. Direktor Philippe Bascaules erklärte denn auch freudestrahlend, dass er selbst extrem überrascht von der ungewohnt hohen Qualität sei. Aber auch der Pavillon Rouge und
der Pavillon Blanc sind grossartig. Bascaules vergleicht den Margaux 2021 mit dem 1996er, allerdings sei der 2021er auf einem höheren Niveau. Eine strenge Selektion sei entscheidend gewesen, denn auch auf ihrem Gut hätte es starke Qualitätsunterschiede gegeben. Nur gerade 36% des Weines wurden des ‹grand vin› für würdig befunden. Gleichfalls sehr gut, allerdings für unser Empfinden ein wenig unter dem Niveau von Château Margaux, präsentierte sich Château Palmer, auf dessen Gelände zurzeit ein hauseigenes Restaurant gebaut wird. Nur ein Drittel des Ertrags von lediglich 22 hl/ha schaffte es in den ‹grand vin›. Der Alkoholgehalt wurde mittels Chaptalisierung um ein halbes Grad angehoben. Einen exzellenten, tiefgründigen Wein aus niedrigen Erträgen präsentierte Ducru-Beaucaillou, dessen ‹grand vin› zu 98% aus Cabernet Sauvignon besteht und moderate 12.5% Alkohol aufweist.
Erfolgreiches Pauillac
Auch auf Pichon-Lalande probierten wir einen ganz vorzüglichen, geschmeidigen Wein, den man sich merken sollte. 11 ha der insgesamt 105 ha Rebberge von Pichon-Lalande liegen übrigens in St-Julien, weshalb ein Teil des Weines bis 1959 auch unter der Appellation St-Julien statt Pauillac verkauft wurde. Sehr seriöse Weine zeigte uns der für die Mouton- Domänen verantwortliche Jean-Emmanuel Danjoy, dessen Equipe einen noblen Mouton- Rothschild hervorbrachte. Er meinte, dieses Jahr hätten nur die allerbesten Parzellen für den ‹grand vin› verwendet werden können. Eric Kohler auf Lafite-Rothschild gelang
ein recht reifer, tiefgründiger Wein. Er bewerkstelligt im Moment die Umstellung auf biologischen Anbau. Wie man hört, las Lafite relativ früh. Lynch-Bages erzeugte einen
sehr guten Wein. Das bekannte Gut verfügt seit 2020 über neue Kellergebäude mit der doppelten Anzahl Gärtanks; leider verströmt der riesige Neubau, trotz seines berühmten Architekten, den Charme des Hauptsitzes einer mittelgrossen Versicherungsgesellschaft. Einen kraftvollen Wein degustierten wir beim neuen Pontet-Canet Kellermeister Mathieu Bessonnet. Er arbeitete unter anderem bei Chapoutier und Michel Rolland und wirkt deutlich entspannter als sein fast schon messianisch der Biodynamie verpflichteter Vorgänger Jean-Michel Comme. So lässt er uns unbefangen wissen, dass die neun im Rebberg eingesetzten Pferde die Rebstöcke zwar unbestritten weniger beschädigten als die Traktoren und auch die Bodenverdichtung geringer ausfalle. Ein wichtiger Grund, weshalb er an den Pferden festhalte, sei aber auch, weil die Mitarbeiter mit ihnen schlicht mehr Freude bei ihrer Tätigkeit hätten. Christian Seely, Verantwortlicher für sämtliche AXA-Weingüter, ist zu Recht stolz auf seine Weine, jedoch lagen die Erträge mit rund 22 hl/ha tief: Einen ausgezeichneten Gegenwert bietet Château Pibran, nobel und elegant ist Pichon-Baron. Ganz vorzüglich ist Suduiraut, der allerdings eine grosse Rarität bleiben wird: Lediglich eine fast schon symbolische Menge von 1 hl/ha wurde geerntet! Einen guten, aber ausnahmsweise nicht grossen Latour degustierten wir neben dem soeben auf den Markt gebrachten eleganten 2014er.
Montrose und Cos d’Estournel
Die beiden führenden Güter aus Saint-Estèphe brillierten mit gelungenen Weinen. Distinguiert, mit viel Finesse Montrose, welches aufgrund des Mehltaus nur 23 hl/ha erntete – seit 2019 arbeitet man biologisch. Vincent Decup vergleicht 2021 mit dem 2014er, freilich sei die Rebkultivierung heute viel aufwendiger und präziser. Durch Kraft und tiefe Farbe beeindruckte Cos d’Estournel. Der technische Direktor Dominique Arangoïts teilte uns mit, dass sie den heissesten Tag nicht im Juli oder August verzeichneten, sondern am 6. September. Auch sie erhöhten den Alkohol ein wenig mittels Chaptalisation.
Erstklassiger Haut-Brion
Im Graves-Gebiet waren wir von den Dillon-Gütern begeistert, die erkennbar von ihrem deutlich wärmeren Standort profitierten und bei den Rotweinen stolze 48 hl/ha ernteten. Erstaunlich kräftig und konzentriert
ist Haut-Brion, unmittelbar gefolgt vom marginal weniger dicht gewobenen La Mission Haut-Brion. Schlicht superb fielen die beiden weissen Gewächse aus (mit einem leichten Plus für den La Mission), die demonstrierten, dass 2021 für die trockenen Bordelaiser Weissweine ein exzellentes Jahr ist. In diesem Zusammenhang sei speziell auf Château Olivier hingewiesen, das einen vorzüglichen Weissen erzeugte. Auf Haut-Bailly präsentierte uns Véronique Sanders den grandiosen Kellerneubau, den man sich als Bordeaux- Aficionado unbedingt ansehen sollte. Dem jungen Architekten Daniel Romero gelang ein Meisterwerk, das sowohl die optischen wie auch die fachlichen Anforderungen bravourös erfüllt. Den 2021er vergleicht Kellermeister Gabriel Vialard mit dem 2001er; uns mundete der etwas leichtere, aber äusserst finessenreiche Wein prächtig. Einen der beachtenswertesten Graves-Rotweine brachte einmal mehr Domaine de Chevalier hervor; der etwas säurebetonte, zurückhaltende Pape Clément wirkte zum Zeitpunkt der Verkostung noch reserviert. Preislich vernünftig und überraschend attraktiv ist Latour-Martillac.
Pomerol und Saint-Émilion
Unser Herz im Sturm eroberte Jacques Thienponts abgerundeter, schlicht superber Le Pin, der in seiner finessenreichen Art beinahe burgundisch anmutete. Ebenfalls zu den besten Weinen des Jahres zählt Vieux-Château-Certan, das historisch betrachtet
seit jeher als das führende Pomerol-Weingut gilt. Guillaume Thienpont betonte, dass das grossartige Terroir in Verbindung mit
den sehr alten Rebstöcken für die erstklassige Qualität verantwortlich seien. Noëmie Durantou von L’Eglise-Clinet führt neu das von ihrem verstorbenen Vater Denis aufgebaute Weingut. Ihr 2021er gefiel uns in seiner kraftvollen, kernigen Art sehr. Der energie-geladene Figeac-Direktor Frédéric Faye sprach von einem Jahres-Marathon, der einem alles abverlangte. Er ist glücklich, trotz schlechter Wetterprognosen zugewartet und relativ spät bis zum 19. Oktober hin gelesen zu haben, wodurch er eine deutlich höhere Qualität erzielte. Es verwundert deshalb nicht, dass man seinen Wein zu den Jahrgangsbesten zählen darf. Schlicht hinreissend schmeckte Château Ausone, der unglaublich fein und nobel gelang. Alain Vauthier servierte uns neben dem überaus gelungenen Chapelle d’Ausone allerdings nur den ebenfalls sehr guten La Clotte; Mengen und Qualität der anderen, ebenfalls der Familie gehörenden Domänen, seien zu unregelmässig gewesen. Kraftvolle, reichhaltige Weine zeigte uns Stephan Graf von Neipperg. Äusserst positiv fiel dabei sein Aiguilhe aus den Côtes de Castillon auf, der preislich sehr attraktiv ist. Einen weiteren Höhepunkt degustierten wir auf Cheval-Blanc. Pierre-Olivier Clouet ist von seinem Wein zu Recht angetan; ausgesprochen finessenreich, nobel und unglaublich reizvoll erinnert er uns an die grossen Klassiker. Gleichfalls prächtige Gewächse sind der Petit Cheval sowie Quinault l’Enclos, das zu Cheval-Blanc gehört und seinen vielleicht bislang besten Wein hervorbrachte. Erfreulicherweise scheinen die Erzeugnisse der Weingüter von Gérard Perse nicht mehr derart stark überextrahiert zu sein. Überraschend angenehm war Monbousquet, aber auch Pavie wirkte weniger gerbstoffbetont als sonst. Nicht so begeistert waren
wir von Château Angélus, das seinen Stil seit der Übernahme durch Stéphanie de Boüard doch deutlich geändert hat. Der Wein machte keinen besonders kräftigen, dafür einen eher rustikalen Eindruck.
Der Markt
Die Primeur-Kampagne des Jahrgangs 2019 verlief dank der attraktiven Preise hervorragend; auch der teurere 2020er wurde gut verkauft. Die Aufhebung der US-Strafzölle
im März 2021 sorgte zudem für eine starke Belebung des Geschäfts, viele Négociants tätigten erfreuliche Umsätze und konnten ihre Lagerbestände älterer Jahrgänge zurück bis 2011 deutlich reduzieren. Dies gilt allerdings in erster Linie für die 200 berühmtesten Châteaux. Die anderen, rund 6400 Bordeaux-Produzenten kämpfen – wie viele weltweit – mit tiefen Preisen und stockendem Absatz.
Soll man subskribieren?
Die Erfahrung des letzten Jahrzehnts zeigt, dass sich eine Subskription höchstens bei sehr guten Jahrgängen einigermassen vertreten lässt. Vor 1996 lohnte sich der Subskriptionskauf: Die Preise der Bordeaux Crus Classés lagen nach ihrer Auslieferung meist rund
30% höher als en primeur. 1996 gab es einen ersten Preisschub, weitere folgten 2000, 2005 und 2009. Mit dem 2010er erreichte das Preisniveau aufgrund der riesigen Nachfrage aus China im Jahr 2011 neue Rekordwerte. Eine Subskription machte sich definitiv nicht mehr bezahlt, da manche 2009er und 2010er selbst Jahre nach der Auslieferung günstiger erworben werden konnten als en primeur.
In den vergangenen Jahren sind die Preise wieder etwas vernünftiger geworden, wenngleich sie bei vielen Jahrgängen (wie beispielsweise 2017) nach wie vor zu hoch lagen. Eine äusserst wohltuende Ausnahme bildete der Jahrgang 2019, der hervorragend gelang und zu sehr attraktiven Preisen – die mittlerweile um gut 30% gestiegen sind – auf den Markt gebracht wurde. Die bis jetzt kommunizierten Preise des 2021ers liegen ähnlich hoch wie beim besseren 2020er und sind klar überteuert. Eine Subskription – obwohl gewisse Weine qualitativ sehr interessant sind – drängt sich kaum auf, zumal nach drei ausgezeichneten Jahrgängen die Nachfrage nach einem schwierigen Bordeauxjahrgang verhalten sein dürfte. Erfahrungsgemäss steigen die Preise weniger hoch bewerteter Jahrgänge zudem nur sehr zögerlich.