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Philipp Schwander in den Medien
«Auch ein preiswerter Wein kann viel Freude bereiten»
Der Master of Wine und Weinhändler über die Bewertung von Weinen und Jahrgangstabellen, die durchaus ihren Zweck, jedoch auch Grenzen und Tücken haben.
Interview mit Philipp Schwander in der Sonntagszeitung
Der Weinpapst
Philipp Schwander ist seit über 25 Jahren im Weinhandel
tätig. Seit seinem 16. Lebensjahr ist Wein sein Hobby. Während zehn Jahren war
er für den Weineinkauf der St. Galler Weinhandlung Martel verantwortlich. Im
Anschluss leitete er während vier Jahren die Zürcher Weinhandlung Albert
Reichmuth, bis er sich 2003 mit der Selection Schwander selbständig machte.
1996 bestand er die strengste Weinprüfung der Welt, den Master of Wine.
Schwander ist zudem Kolumnist und Ehrenmitglied der Weinakademie Österreichs.
Was halten Sie von Weinbeurteilungen nach Noten oder
Punkten?
Wein ist etwas Lebendiges, er verändert sich während der
Reifephase permanent. Ein grosser Bordeaux zeigt sich beispielsweise gerade in
seiner Jugend sehr unterschiedlich: Es kann sein, dass er sich in einer offenen
Phase geradezu umwerfend gut präsentiert, es kann aber auch sein, dass er
völlig verschlossen und enttäuschend schmeckt. Beim «normalen» Konsumenten –
und das sind die meisten – kommt hinzu, dass das Drumherum und die Stimmung
starken Einfluss auf das Geschmacksempfinden haben. Wenn Sie in den Ferien in
einer gemütlichen Osteria sitzen, ist es wahrscheinlich, dass Sie den
Haus-Chianti als vorzüglich beurteilen, zu Hause aber enttäuscht vom gleichen
Wein sind.
Das heisst, es ist unmöglich einen Wein wirklich zu
beurteilen?
Es ist sehr wohl möglich, eine ungefähre qualitative
Einschätzung eines Weines vorzunehmen, wenn man die entsprechende Erfahrung
mitbringt. Ich verkoste beispielsweise die jungen Bordeaux seit dem Jahrgang
1982 vom Fass. Von daher kann ich eine ungefähre Einschätzung des Jahrgangs und
der Weine vornehmen. Aber es ist alles andere als eine exakte Wissenschaft. Und
es kommt immer wieder vor, dass gewisse Jahrgänge sich besser oder schlechter
als erwartet entwickeln.
Gibt es weitere Tücken bei der Beurteilung von Weinen?
Es erstaunt mich, wie manchmal sogar professionelle
Verkoster darauf hereinfallen: Ein beliebter Trick ist, vorgängig einen
besonders schwachen Wein zu präsentieren. Der im Anschluss servierte
mittelmässige Wein wirkt dann unverhältnismässig gut. Bei vielen Konsumenten
zählt der direkte Vergleich, Vergleiche aus dem Kopf sind einfach zu schwierig.
Professionelle Verkoster sollten aber eigentlich ein entsprechendes
«Geschmacksgedächtnis» haben, um eine einigermassen korrekte Einordnung
vornehmen zu können.
Bringen Jahrgangstabellen etwas?
Die Jahrgangstabellen waren früher quasi die «Geheimwaffe»
der Hobbyweintrinker. Der verstohlene Blick auf die Jahrgangsbewertung
ermöglichte dann, auf der Weinkarte den vermeintlich besten Wein auszuwählen.
Glücklicherweise hat sich der Glauben an die Jahrgangstabellen etwas reduziert.
Es ist sicher wertvoll zu wissen, welche Jahrgänge in einer Region besonders
gut ausgefallen sind. Allerdings gibt es auch in mittelmässigen und schwächeren
Jahrgängen sehr schöne Trouvaillen zu entdecken. Gerade in Bordeaux war ich
häufig enttäuscht von Weinen aus sogenannten «Jahrhundertjahrgängen» und
mitunter überrascht, wie schön sich gewisse Weine aus bescheideneren Jahren
entwickelt haben. Ein schwächeres Jahr ist zudem früher genussbereit, das
Superjahr ist unter Umständen – wie so viele 2009er – lang verschlossen und
wenig konsumentenfreundlich.
Wozu dienen denn solche Bewertungen, wenn sich nicht einmal
professionelle Weinkritiker einigen können?
Es herrscht ein grosses Bedürfnis nach Hilfestellung und
Empfehlungen. Ein Laie kann sich unmöglich bei den Tausenden von Weinen
auskennen. Wenige Konsumenten sind sich aber bewusst, dass die vermeintlich
objektiven Weinurteile teils alles andere als unabhängig sind und dass viele
andere Faktoren diese Bewertungen beeinflussen können.
Was meinen Sie damit?
Ein Weinmagazin herauszugeben, ist ein knallharter Job. Oft
sind die Auflagen verglichen mit Tageszeitungen tief, Inserate sind schwierig
zu bekommen, der Aufwand, wenn man gut sein möchte, ist aber riesig. So müssen
die Regionen regelmässig von kompetenten Journalisten bereist werden. Das
kostet viel Geld. Auch die Verkostungen sind nicht preiswert, teilweise werden
die Weine bewusst anonym im Laden gekauft, um sicherzustellen, dass keine
manipulierten Muster degustiert werden. Wenn Sie jetzt ein Grossbetrieb sind,
der regelmässig Anzeigen schaltet, ist es nur verständlich, dass Ihre Weine
wohlwollend beurteilt werden. Beliebt bei den Magazinen sind auch Weintourneen.
Gewisse Magazine machen zahlreiche solcher Veranstaltungen, welche die
Produzenten buchen können. Auch das wirkt sich sicher nicht negativ auf die
Weinbewertung aus.
Das heisst, letztlich sind alle gekauft?
Das wollte ich keinesfalls sagen. Es gibt zahlreiche
hervorragende Weinzeitschriften. Sie wecken das Interesse am Wein und
informieren über neue Trends und Produzenten. Das ist für den Handel
überlebensnotwendig. Aber als Konsument ist es hilfreich, dass man sich vor
Augen hält, dass diese Weinbeurteilungen nicht sakrosankt sind. Entscheidend
ist auch die Kompetenz eines Weinverkosters, auch da gibt es riesige
Unterschiede. Gerade der unsägliche Trend nach den vermeintlichen «Naturweinen»
hat viele Scharlatane hervorgebracht. Letztlich ist auch ein gesundes
Selbstvertrauen kein Nachteil; schliesslich sind Sie es, der den Wein dann trinkt.
Und wenn Sie bereits zwanzig oder mehr Jahre Wein trinken, kann es durchaus
sein, dass Sie degustativ deutlich fähiger sind als ein selbstverliebtes
Jungtalent.
Wo liegen die Grenzen der «Objektivität durch Punkte»?
Ich führe oft Blinddegustationen mit Profis, aber auch mit
Laien durch. Gerne serviere ich dabei unbekannte Weine neben renommierten aus
dem gleichen Anbaugebiet. Es geht hierbei nicht darum, die guten Weine schlecht
zu machen, vielmehr möchte ich aufzeigen, dass die Unterschiede manchmal nicht
so gross sind wie erwartet und dass auch ein relativ preiswerter Wein viel
Freude bereiten kann. Laien erwarten manchmal, ein Hundertfranken-Wein sei
fünfmal so gut wie ein ZwanzigfrankenWein; dem ist aber nicht so. Ein bisschen
ist es wie in der Kunst: Es gibt immer wieder grossartige Maler, die erst
später entdeckt werden. Ich bin glücklich, wenn ich solche verkannten Winzer
aufspüre. Ich glaube, das ist auch, was ich besonders gut kann. Bei uns wird
extrem viel Zeit in den Selektionsprozess gesteckt, und wir versuchen, unseren
Slogan «guter Wein muss nicht teuer sein» in konsequenter Weise zu leben.
Selbstverständlich sind wir hierbei nicht die einzigen. Es gibt viele
hervorragende Weinhändler in der Schweiz.
Haben sich die Bewertungen in den letzten Jahren verändert?
Es zeigt sich, dass immer mehr Bewerter auf das von Robert
Parker lancierte 100-Punkte-System wechseln. Es zeigt sich auch ganz deutlich,
dass die Bewertungen in den letzten Jahren immer grosszügiger geworden sind.
Grundsätzlich ist das kein Problem, ich finde es auch gut, dass man in der
Berichterstattung vorwiegend die positiven Aspekte einer Region oder eines
Winzers hervorhebt. Allerdings muss sich der Konsument bewusst sein, dass 95
von 100 Punkten nicht mehr so viel bedeutet wie noch vor 10 oder gar 20 Jahren.
Wieso sind die verliehenen Noten immer besser geworden?
Ganz einfach: Als Weinzeitschrift werden Sie gern und oft
zitiert, wenn Sie gute Noten verteilen. Man ist auch als Produzent oder Händler
eher gewillt, ein Inserat zu platzieren. Wer immer das Haar in der Suppe sucht
und überstreng ist, riskiert Liebesentzug. Gerade berühmte Weingüter drohen
teilweise unverhohlen damit, bei schlechten Bewertungen den entsprechenden
Journalisten nicht mehr zu empfangen.
Wie lautet Ihre Begründung?
Eine hohe Punktzahl ist wie «liken» in den sozialen Medien:
Gibt man einem Wein eine hohe Punktzahl, steigert das die Zufriedenheit des
Erzeugers, was dafür sorgt, dass der Kritiker vom berühmten Produzenten
bevorzugt behandelt wird, was wiederum den Ruf des Kritikers stärkt. Diese
müssen ihre 100-PunkteWeine gut auswählen, und es müssen Weine sein, die von
der Mehrheit der Weinliebhaber bereits mit Ehrfurcht betrachtet werden. Es
gehört viel Mut dazu, einem berühmten Wein eine schlechte Note zu geben. Einen
unbekannten Winzer mit einer schlechten Bewertung zu versehen, ist dagegen
risikolos.