Ende Jahr kommt er auf den Markt: der spanische Rotwein «Sobre Todo» des ersten Master of Wine der Schweiz, Philipp Schwander.
Im Priorat hat er kürzlich das Unternehmen Viñedos Schwander gegründet, dessen Wein in grossen Degustationen ganz vorne landet. Wie kommt der passionierte Weinhändler und Inhaber der Selection Schwander in Zürich und St. Gallen plötzlich dazu, selbst als Winzer tätig zu werden?
Herr Schwander, das renommierte Wein- und Gourmetmagazin «Falstaff» hat Ihren neuen Wein mit 98 Punkten bewertet und mit einem Schlag auf Platz 3 der besten Prio-rat-Weine des Jahrgangs 2016 kata-pultiert. Was haben Sie da gezaubert?
PHILIPP SCHWANDER: Ich habe gar nichts gezaubert. Aber ich kenne seit Jahren einen der besten Produzenten im Priorat, den Winzer Raimon Castellví. Er hat diesen Wein zusammen mit dem wohl erfahrensten PrioratÖnologen Fernando Zamora gekeltert, der Geburtshelfer zahlreicher berühmter Gewächse war. Ich persönlich habe lediglich dafür gesorgt, dass wirklich nur die allerbesten Partien abgefüllt wurden und dass der Stil des Weines stimmt.
Das Priorat ist ja eine sehr heisse und trockene Gegend. Die meisten Weine sind schwer und wuchtig. Ist das auch der Stil des «Sobre Todo»?
Das Priorat galt bereits im Mittelalter als eine der besten spanischen Weinregionen. Die Weine waren schon damals schwer und kräftig, was dem Klima geschuldet ist. Es gibt heute einen Trend, die Weine dieser Gegend burgundisch auszubauen, also duftig und eher leicht. Dies ist aber meines Erachtens problematisch – das wäre in etwa so, als wollte ich als Übergewichtiger Balletttänzer werden ... Das entspricht einfach nicht dem Klima, der Traubensorte und der Natur der Weine. Waren die Gewächse des Priorat in der neueren Zeit eher zu wuchtig, scheint das Pendel jetzt ins andere Extrem auszuschlagen, und gewisse Produzenten bemühen sich krampfhaft, leichte, filigrane Weine zu erzeugen.
Im Burgund gedeiht die Pinot-Noir-Traube auf einem speziellen Boden und in einem relativ kühlen Klima. Wie kann man einen Priorat-Wein burgundisch machen?
Da gibt es hauptsächlich zwei Möglichkeiten: Entweder man liest die Trauben viel früher als üblich, wodurch dann leichte, aber im Prinzip unreife Weine erzielt werden, die im besten Fall Ansätze von Eleganz aufweisen. Oder man erntet die Trauben reif und verschneidet sie mit einer kleinen Menge Weisswein, wie das früher schon praktiziert wurde. Dadurch gewinnt man mehr Leichtigkeit, ohne die unreifen Noten. Diese zweite Variante ist zwar besser, als zu früh zu lesen, aber ideal ist sie auch nicht.
Welchen Weg wählten Sie?
Ich versuche, Kraft mit bestmöglicher Eleganz zu verbinden, um dem Charakter der Region gerecht zu werden. In meinem Rebberg gibt es viele uralte Stöcke, die vor dem Zweiten Weltkrieg, zu einem beträchtlichen Teil sogar bereits im Jahr 1905 gepflanzt wurden. Der «Sobre Todo» wird nur aus Trauben dieser Methusalem Reben gewonnen, die einen sehr kleinen Ertrag abwerfen, aber auch ein deutlich subtileres und feineres Ergebnis bringen, weil ihre Wurzeln sehr tief gründen und daher viel weniger unter der Trockenheit leiden. Ausserdem stammen sie aus einer hoch gelegenen Nord und Ostlage. Der Wein ist zwar – seinem Ursprung gemäss – sehr voll, aber er besitzt auch Tiefe und Eleganz. Wir achten auf eine optimale physiologische Reife, was gute, abgerundete Tannine ergibt. Wichtiges Element ist indes der ausgedehnte Ausbau im Holzfass, der die Wucht des Weines mildert und für mehr Finesse sorgt. Der Jahrgang 2016 lag drei Jahre im Holzfass, das ist ungewöhnlich lang und mehr als doppelt so lang wie bei den meisten hochwertigen Rotweinen weltweit üblich. Im Zusammenspiel mit der Tatsache, dass sich der Weinberg in einer der besten Lagen des Priorat im berühmten Mas d’en Caçador befindet und entsprechend eine grandiose Traubenqualität erbringt, führte dies zu diesem erfreulich raschen Erfolg.
Wie kommt denn ein Master of Wine in der Schweiz zu solchen Top-Parzellen?
Das war ein glücklicher Zufall. Vor fünf Jahren war Raimon Castellví bei mir zu Besuch und wirkte ziemlich deprimiert. Wie sich herausstellte, war ein Freund von ihm aus gesundheitlichen Gründen gezwungen, seinen zwei Hektar grossen Weinberg in einer Spitzenlage zu verkaufen, deren Trauben regelmässig Höchstpreise erzielten. Da er selber nicht das nötige Kleingeld hatte, um ihn zu übernehmen, konnte ich den Rebberg zu einem attraktiven Preis kaufen, obwohl sich einige der führenden spanischen Produzenten ebenfalls für den Rebberg interessierten. Meine Bedingung beim Kauf war, dass wir ohne Rücksicht auf kommerzielle Überlegungen versuchen würden, den bestmöglichen Wein zu erzeugen.
Heute heisst der Betrieb Viñedos Schwander. Legen Sie selbst Hand an im Weinberg und Keller? Sieht man Sie mit der Rebschere hantieren?
Das möchte ich sicher einmal machen. Aber gegenwärtig konzentriere ich mich auf die Bestimmung des Weinstils, auf die Auswahl der besten Partien vor Ort und die Dauer des Ausbaus.
Wie wird der Wein verkauft? Wie teuer ist er?
Einen Teil wollen wir über die Selection Schwander verkaufen. Daneben werden wir ihn wahrscheinlich in Deutschland und Österreich vertreiben. Die besten Priorat kosten schnell 200 bis 300 Franken, der Ermità fast 1000 Franken. Den «Sobre Todo» wollen wir preiswerter verkaufen, obwohl mir viele Händler davon abraten. Günstig wird der Spass allerdings schon aufgrund der extrem hohen Produktionskosten nicht; wir haben rund viermal tiefere Erträge als ein Bordelaiser Cru Classé.
Da machen Sie aber kein grosses Geschäft.
Das Bestreben ist oberste Qualität. Deshalb produzieren wir auch statt der möglichen 9000 Flaschen bloss etwa einen Viertel. Aber natürlich ist es auch das Ziel, einen gewissen Gewinn mit dem Verkauf des Weines zu erwirtschaften, um weitere Investitionen tätigen zu können. Die rasche Gewinnerzielung steht aber nicht im Vordergrund, da es ein langfristiges Projekt ist.
Wie halten Sie es mit der Ökologie im Betrieb?
Viel naturbelassener als im «Sobre Todo» kann man nicht produzieren. Das hat allerdings gar nicht so viel mit uns zu tun, sondern mit den Voraussetzungen. Das Klima ist warm und sehr trocken, Pilzkrankheiten treten nur selten auf, weshalb wir ganz auf Chemie verzichten können. Die alten Reben bringen ausserdem kleine, aromatische Beeren mit dicken Schalen hervor, die sehr resistent gegenüber Krankheiten sind. Verglichen mit vielen Bioweinen aus anderen Gegenden produzieren wir tatsächlich «biologischer», da wir praktisch kein Kupfer einsetzen, das beim Bioweinbau Verwendung findet. In der Regel reicht es, ein wenig Schwefel zu zerstäuben.
Spanische Weine sind zum grossen Publikumsrenner geworden. Weshalb?
Spanien hat weltweit wohl das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bei den Weinen. Der einheimische Konsum ist wie in vielen anderen Mittelmeerländern dramatisch eingebrochen – innerhalb von zehn Jahren hat sich der Inlandkonsum halbiert. Spanische Winzer stehen deshalb besonders unter Druck und bieten ihre Weine zu äusserst attraktiven Preisen an.
Die Etikette des «Sobre Todo» sieht aus wie eine Schweizer Banknote. Wie kam das?
Mir haben die neuen Schweizer Banknoten sehr gefallen. Per Zufall traf ich den damaligen Verwaltungsratspräsidenten von Orell Füssli und er offerierte mir, mich mit Manuela Pfrunder, der Grafikerin der Banknoten, bekannt zu machen. Wie sich dann herausstellte, war sie bereits Kundin der Selection Schwander – damit war der Weg frei für ein einmaliges Projekt, das insgesamt zwei Jahre Zeit beanspruchte. Manuela besuchte das Weingut im Priorat mehrmals, um sich inspirieren zu lassen und modellierte sogar einen alten Rebstock. Das von ihr gestaltete Etikett wurde schliesslich von Armin Waldhauser, dem langjährigen Banknotengraveur von Orell Füssli, gestochen und zeigt unter anderem einen uralten Stock meines Rebbergs. Anhand des vielschichtig aufgebauten Etiketts lässt sich die Geschichte des Priorats und des «Sobre Todo» erzählen. Seinen Namen, der soviel wie «über allem» bedeutet, verdankt der Wein übrigens der besonderen Höhenlage, die in diesem heissen Klima ein grosser Vorteil ist.