Ihr Newsletter-Abonnement wurde erfolgreich registriert.
Philipp Schwander in den Medien
«Ein Sumoringer wird nie eine Ballerina» Philipp Schwander im Vinum-Interview
Seit genau 20 Jahren stellt der 58-jährige Philipp Schwander seine Selektionen zusammen, die von seinen Anhängern kontinuierlich in beeindruckenden Mengen gekauft werden.
Seit genau 20 Jahren stellt der 58-jährige Philipp Schwander seine Selektionen zusammen, die von seinen Anhängern kontinuierlich in beeindruckenden Mengen gekauft werden. Der erste Schweizer «Master of Wine» ist ein Mann mit vielen Interessen. Nebst seinem Engagement für «Good Value» im Glas beschäftigt er sich mit hochstehender Druckgrafik oder der Formensprache der Barock-Epoche, die sein Schlösschen am Bodensee ziert. Es ist kein Wunder, dass Schwander des Öfteren froh ist, dass ein Tag noch immer über maximal 24 Stunden verfügt. Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Anne Gabriel-Jürgens
Sie sind ein bekennender Liebhaber von
beschwingten Burgunder-Weinen, sogar
Ihr Hund heisst Pinot, aber Ihr eigener
Wein, der voll strukturierte Sobre Todo,
wächst im spanischen Priorat. Ein Widerspruch?
Für mich nicht. Ich halte auch den Sobre Todo
für einen eleganten Wein, wenngleich natürlich auf andere Weise als einen Pinot aus dem
Burgund. Tatsächlich wird der Sobre Todo von
einem besonderen Grenache-Klon gewonnen,
der deutlich finessenreichere Weine ergibt.
Nun gibt es inzwischen auch im Priorat
einige Winzer, die ihre Weine ganz offensichtlich mit einer Burgund-Optik in die
Flaschen bringen…
Wer im Priorat Reben kultiviert und vom Burgund träumt, sollte sein Weingut verkaufen
und weiterziehen. Trauben unreif, sprich verfrüht, zu ernten, im Glauben, daraus resultiere
ein eleganter, burgundischer Priorat, das kann
es nicht sein. Ebenso gut könnte man einen
Sumoringer in ein Ballerina-Kostüm zwängen.
Das sieht nicht wirklich gut aus.
Mit einem Preis von 150 Franken ist der
Sobre Todo zwar deutlich günstiger als andere Icon-Weine aus dem Priorat, aber doch
um ein Vielfaches teurer als das, was üblicherweise in der Selection Schwander
verkauft wird.
Dieser superbe Rebberg ist durch einen schönen Zufall in meinen Besitz gelangt. Mich fasziniert dabei die Herausforderung, den bestmöglichen Wein zu keltern. Die Lage zählt zu den
begehrtesten im Priorat, und die Rebstöcke,
hauptsächlich Grenache und Carignan, sind
über 115 Jahre alt. Allerdings hat das nichts mit
meinem nach wie vor gültigen Credo bei der
Selection Schwander zu tun: «Very good value
for money!»
Was soll heute eine gute Flasche Wein kosten?
Zwischen 13 und 20 Franken sollte jeder etwas finden, das Freude bereitet. Das ist und war
schon mein Anspruch, als ich vor 20 Jahren die
Selection Schwander gründete.
Dass Ihre mit den Winzern gemeinsam entwickelten Selektionen qualitativ überzeugen, attestiert Ihnen auch die Konkurrenz.
Wie schaffen Sie das? Sagen Sie dem
Winzer: «Hier ein bisschen länger mazerieren, bitte, und dort etwas mehr Barrique,
wenn’s geht...»?
Nein, es wäre sehr anmassend, wenn ich dem Winzer Anweisungen geben würde, wie er die
Weine zu keltern hat. Das kommt selten gut an.
Und wie machen Sie es dann?
Ich vergleiche unsere Weine immer mit den
besten aus der betreffenden Region, verfolge
also, was die Leader unter den Winzern so machen. Es kann sein, dass gewisse Weine besonders meinen Vorstellungen entsprechen oder
bestimmte Eigenschaften haben, die ich auch
gerne bei unserer Füllung hervorheben möchte. Anhand dieser Beispiele versuche ich dann,
meine Wünsche zu formulieren.
Eine solche Spezialabfüllung soll dann
aber weniger kosten?
Ja, auf jeden Fall! Viele Winzer sagen, ich sei einer der härtesten Verhandler, der ihnen je über
den Weg gelaufen ist. Einer nannte mich einmal Mutter Teresa der Weinkonsumenten. Ich
sehe das als Lob…
Und die Winzer werfen Sie nicht aus dem
Keller?
Nein. Sie profitieren letztlich ja auch davon,
wenn ihr Wein funktioniert. Biete ich einen
Tischwein für 16.90 Franken an, verkaufe ich
vielleicht 15 000 Flaschen, kostet er 14.90
Franken können es 30 000 sein. Das rechnet
sich trotz des niedrigeren Preises auch für den
Winzer. Eine solche Menge setzt der Produzent sonst über 10 bis 20 verschiedene Händler ab, die zudem alle möchten, dass er ihren
Wein auch bei ihnen vor Ort promotet. Da sind
die Reisespesen schnell höher als der niedrigere Preis, zu dem ich einkaufe.
Wenn Sie mit Ihren Mitarbeitern die Winzer besuchen, sind Sie meist mit einem
Mercedes Maybach unterwegs. Da könnte
doch der eine oder andere Winzer auf die
Idee kommen, dass Ihre Marge womöglich
doch ein wenig zu hoch ist...
Ach, auch Winzer fahren keine billigen Autos. Ich reise sehr viel, nicht zuletzt aus Interesse, aber vor allem, weil es sehr wichtig ist,
bei den Füllungen eine höchstmögliche Qualität zu erreichen – für die ich ja dann mit meinem Namen bürge. Das gelingt nur durch einen
engen Kontakt mit dem Winzer und wiederholte Verkostungen. So bin ich durchschnittlich drei bis vier Monate pro Jahr unterwegs
und lege dabei mehr als 50 000 Kilometer zurück, das entspräche bei acht Stunden pro Tag
ganzen zwei Monaten Verweildauer im Auto!
Da ist ein sicheres Fahrzeug mit viel Platz auch
ausschlaggebend für die Lebensqualität. Oder
möchten Sie Stützstrümpfe überziehen und Anti-Thrombose-Pillen schlucken, nur damit
Sie mit einem Kleinwagen unterwegs sein können?
Sie haben Ihre Weinhandlung vor exakt
20 Jahren gegründet. Macht Ihnen das Reisen immer noch gleich viel Spass wie am
Anfang? Irgendwann hat man doch alles
gesehen, oder?
Glücklicherweise fasziniert mich meine Tätigkeit nach wie vor. Ich kann mir keinen besseren Beruf vorstellen. Viele Winzer sind inzwischen gute Bekannte geworden und wissen
daher auch, wie ich nebst dem Wein so ticke.
Folglich verschonen sie mich mit all diesen
furchtbaren pseudoelitären Gourmet-Restaurants, die mit viel Chichi und affektiertem Getue versuchen, mehr zu sein, als sie sind. Eine
einfache, aber köstliche regionale Küche begeistert mich dagegen sehr!
Haben Sie damals vor 20 Jahren damit
gerechnet, dass Ihr Geschäftsmodell so
einschlägt?
Nie im Leben! Ich hoffte, dass das Geschäft
mir erlauben würde, einigermassen über die
Runden zu kommen. Das Konzept des kleinen
Sortiments entstand auch daraus, dass mir
schlicht die Mittel fehlten, um ein grosses Lager aufzubauen. Ursprünglich wollte ich eine
etablierte Weinhandlung kaufen, aber die dafür notwendigen 30 Millionen Franken hatte
ich nicht. So gründete ich glücklicherweise mit
Felix Kauf die Selection Schwander.
Das Innovative an der Selection Schwander
war und ist doch das «Just in time»-Konzept?
Ja. Ich stelle elfmal pro Jahr ein Angebot zusammen, verschicke also elf Mailings an meine Kunden. Die entsprechenden Weine kommen rein und gehen wieder raus, basta. Damit
reduziert sich jene extrem aufwendige Lagerbewirtschaftung, die heute vielen Weinhändlern das Leben schwer macht. So hatte ich mir
das zumindest in der Theorie zurechtgelegt.
Und wie sieht’s heute in der Praxis aus?
Unser Sortiment ist stark gewachsen, und das
Lager ist auch grösser geworden. Mir ist es mittlerweile eigentlich zu gross. Aber man muss für
gute Kunden auch in der Zeit zwischen den Angeboten Wein auf Lager haben.
1996 sind Sie «Master of Wine» geworden,
also zu einer Zeit, als viele noch nicht einmal wussten, was das überhaupt ist. Wie
wichtig ist der Titel für Ihr Business?
Dieser Titel war zu Beginn sicherlich sehr wichtig, aber letztlich eben auch nur einer von mehreren Pfeilen in meinem Köcher. Die Schweizer
sind nicht sehr diplomgläubig, und sie verstehen vor allem etwas von Wein. Hätte ich nicht
geliefert, was meine Kunden erwartet haben,
wäre ich schnell in Vergessenheit geraten –
trotz dem MW auf der Visitenkarte.
Die Werbebroschüren sind noch immer
Ihr zentrales Kommunikations- und Verkaufsinstrument. Das ist doch anachronistisch angesichts der voranschreitenden
Digitalisierung...
Wir sind selbstverständlich auch digital unterwegs und nutzen die Chancen dieser Kanäle.
Viele Weinhändler bombardieren allerdings die
Mail-Box ihrer Kunden fast täglich mit Newslettern. Ich glaube, solche Angebote werden
deshalb immer weniger beachtet. Ein physischer Prospekt erzielt da eine andere Wirkung.
Wie erklären Sie sich das?
Ich denke, meine Kunden sitzen schon den
ganzen Tag vor dem Bildschirm, da blättern
sie abends gerne mal in einer Broschüre. Und
Gedrucktes wird anders wahrgenommen, es
wirkt seriöser. Was mich betrifft, so würde ich
in meiner Freizeit auch nicht nochmals am
Computer sitzen wollen. Es scheint, dass viele der Kunden unsere Art von Kommunikation schätzen.
Der Fokus auf Ihre Person könnte aber
irgendwann zum Problem werden…
Das ist mir bewusst. Wir arbeiten bereits an einer Lösung. Mit dem Master Circle habe ich
vier fachlich exzellente «Master of Wine» mit
ins Boot geholt, die künftig ebenfalls Weine für
uns selektionieren. Ich werde also zunehmend
durch andere Profis unterstützt, sorge aber zugleich dafür, dass das hohe Qualitätsniveau erhalten bleibt.
In der Weinbranche tobt eine ungeheure
Preisschlacht. Jeden Tag gibt’s hier Sonderangebote…
Ich habe da eine klare Haltung. Rabat ist eine
Stadt in Marokko. Gewisse Weinhändler erziehen ihre Kunden förmlich zu Schnäppchenjägern. So wird oft nur noch bei massiven Preisreduktionen bestellt. Das führt dazu, dass die
Verkaufspreise bewusst hoch angesetzt werden, damit man dann einen vermeintlich spektakulären Rabatt gewähren kann.
Sie konzentrieren sich auf Weine aus Europa, die mehrheitlich konventionell an- und
ausgebaut werden. Naturweine beispielsweise sind offensichtlich nicht so Ihr
Ding...
Bio-Weine führen wir mittlerweile zahlreiche
im Programm, aber nicht, weil sie aus biologischem Anbau stammen, sondern weil sie eine
hohe Qualität haben. Rückstandsarme Weine können nämlich auch ohne Bio-Label erzeugt werden. Naturwein ist ein missbräuchlicher, nicht geschützter Begriff, mit dem viel
Schindluder getrieben wird und manche ahnungslose Konsumenten über den Tisch gezogen werden.
Aber wenn es gelingt, einen guten Wein
ohne Eingriffe und Hilfsmittel in Rebberg
und Keller zu machen, ist das doch grossartig, oder?
Absolut, und die meisten meiner Produzenten
arbeiten auch so, dass ihre Weine möglichst naturbelassen sind. Philipp Grassl beispielsweise
setzt bei der Produktion lediglich Schwefel ein,
sonst rein gar nichts. Bei den sogenannten «Naturweinen» finden Sie oft Weine, die schlicht
fehlerhaft sind, nach Sauerkraut riechen und
aufgrund der Schwefelarmut einen hohen Histaminwert haben, der übrigens ursächlich ist
für Kopfschmerzen. Selbstverständlich gibt es
auch sehr gute Naturweine, doch die sind äusserst selten.
Aber wenigstens biologischer Anbau sollte
doch heute Standard sein?
Biologischer Anbau ist gut, aber ist Kupfer wirklich biologisch? Mir ist wichtig, was für einen
Eindruck der Winzer auf mich macht. Auch
konventionelle Weine werden heute viel schonender produziert als früher. Was vor 50 Jahren im Rebberg und Keller alles noch gang und
gäbe war, das möchten wir wohl lieber nicht
mehr so genau wissen. Heute agiert die überwältigende Mehrheit der Winzer verantwortungsbewusst. Sie wenden an, was nötig ist,
aber nicht mehr. Mein Priorat beispielsweise ist zwar nicht bio-zertifiziert, aber komplett
rückstandsfrei, weil aufgrund des trockenen
Klimas, abgesehen von ein bisschen Schwefel,
überhaupt nicht gespritzt werden muss.
Neben Ihrer Weinhandlung besitzen Sie
heute unter anderem auch ein BarockSchlösschen am deutschen Ufer des Bodensees sowie eine Sammlung von hochstehender Druckgrafik aus sechs Jahrhunderten. Gibt es einen roten Faden bei
Ihren Passionen?
Auf jeden Fall: hohe Qualität! Qualität und
meisterhafte handwerkliche Fähigkeiten haben mich schon immer begeistert. 2011 wollte ich eigentlich ein Haus in Zürich kaufen,
aber was mir angeboten wurde, war entweder
sehr teuer, oder es gefiel mir nicht. Da stiess
ich auf dieses Schlösschen mit seinen grandiosen Stuckaturen, die zu den wertvollsten
am ganzen Bodensee zählen. Die Druckgrafik
ist eine höchst faszinierende Sparte der Kunst,
die von den Marktakteuren zurzeit völlig ignoriert wird. Mitschuldig übrigens an meiner
Leidenschaft ist Martin Meyer, der ehemalige Feuilletonchef der NZZ. Während des Corona-Lockdowns hat sich mein Interesse für dieses Gebiet verstärkt. Ich studierte nächtelang
die Biographien und Catalogues raisonnés berühmter Künstler und recherchierte, was auf
dem Markt angeboten wurde. Es ist erstaunlich, zu welchen Preisen etwa Kupferstiche von
Künstlern mit Weltruf wie Lucas van Leyden
zu erwerben sind.
Drucke sind aber eben keine Unikate...
Das Thema ist komplex. Letztlich ist auch eine
Radierung ein einzigartiger künstlerischer
Ausdruck. Bei der Druckgraphik haben zudem
die ersten Abzüge immer eine unnachahmliche Klarheit und Tiefe. Nach ein paar hundert
Blättern erinnert der Druck dann aber oft eher
an eine schwache Fotokopie. Hochstehende
Druckgraphik ist eine Wissenschaft und alles
andere als leicht verständlich. Heute ist übrigens das Gegenteil en vogue: Gross muss es
sein und möglichst farbig.
Ihre Leidenschaft für Drucktechnik ist offenbar auch in die Herstellung des Etiketts
für Ihren Priorat-Wein Sobre Todo eingeflossen…
Das kann man so sagen. An diesem Etikett haben Manuela Pfrunder, die auch die aktuelle
Serie der Schweizer Banknoten gestaltet hat,
der Banknotenkupferstecher Armin Waldhauser, mehrere Druckspezialisten und ich über
vier Jahre hinweg gearbeitet. Mittels spezieller
Drucktechniken haben wir fast 20 Bilder und
Symbole darin versteckt, von denen jedes eine
eigene Geschichte erzählt. Der Druck wurde
übrigens nicht im gängigen Punkt-, sondern im bei Banknoten üblichen Strichraster gemacht;
dabei wurden bei unserem Etikett über ein
Dutzend Maschinen hintereinandergeschaltet.
Für die Blindprägung und den Kippbildeffekt
wurde mit mehreren Tonnen Druck gearbeitet.
Ein derart technisch aufwendiges Etikett ist bis
dato mit Sicherheit noch nie gedruckt worden.
Es gewann denn auch den weltweit wichtigsten Etikettenwettbewerb FINAT.
Was hat denn letztlich ein einziges Etikett
Ihres Sobre Todo gekostet?
Ich weigere mich, das genau auszurechnen.
Sie sind jetzt 58 Jahre alt. Was werden Sie
in zehn Jahren machen?
Nun, falls ich gesund bleibe, werde ich wohl
immer noch Weinhändler sein, aber mit reduziertem Pensum. Ich hätte gerne mehr Zeit und
Musse für die Durchführung gewisser Projekte,
wie zum Beispiel die Erstellung einer Weinuhr.
Sie meinen eine Uhr, die läutet, wenn die
86er Bordeaux aus dem Médoc endlich
trinkreif sind?
Das wäre cool, dürfte allerdings schwerlich
zu realisieren sein. Aber es kommen mir bestimmt einige Ideen.
Herr Schwander, wir danken Ihnen für
dieses Interview.
Seit genau 20 Jahren stellt der 58-jährige Philipp Schwander seine Selektionen zusammen, die von seinen Anhängern kontinuierlich in beeindruckenden Mengen gekauft werden. Der erste Schweizer «Master of Wine» ist ein Mann mit vielen Interessen. Nebst seinem Engagement für «Good Value» im Glas beschäftigt er sich mit hochstehender Druckgrafik oder der Formensprache der Barock-Epoche, die sein Schlösschen am Bodensee ziert. Es ist kein Wunder, dass Schwander des Öfteren froh ist, dass ein Tag noch immer über maximal 24 Stunden verfügt. Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Anne Gabriel-Jürgens