Ihr Newsletter-Abonnement wurde erfolgreich registriert.
Philipp Schwander in den Medien
| Bordeaux
Interview mit Philipp Schwander in der NZZ
Weinpapst Philipp Schwander: «Die Italiener sind die Schlimmsten, die servieren im Sommer beinahe schon Glühwein». Im Interview spricht er über Panikmache beim Alkoholkonsum, Etikettentrinker – und den Sauerkrautgeschmack von Naturweinen.
«Du kannst den Weissen bringen», sagt Philipp Schwander zur Kellnerin. Man ist per Du, Schwander, der bekannteste Weinexperte des Landes, und das Personal im italienischen Restaurant im Zürcher Kreis 4. Der St. Galler isst gerne hier: «Ich bin von Berufs wegen fast immer am Essen und Trinken, oft im Ausland, stets in Top-Lokalen. Aber das Sterne-Künstlertum in den Küchen regt mich zunehmend auf – zu verkopft, zu viel Chichi.» Lieber «einfach und perfekt zubereitet», wie jetzt. Bis zu vier Monate im Jahr reist Schwander, der erste Schweizer Master of Wine, durch die Rebberge der Welt. Der lukullische Lebensstil ist längst in seinem Leib eingeschrieben. Der Ganzkörpereinsatz hat sich gelohnt: Der Weinhändler Schwander, 58, verkauft jährlich weit über eine Million Flaschen, ist Besitzer eines Barockschlosses am Bodensee, zweier Weingüter in Spanien – und eines Labradors mit dem Namen «Pinot».
Prost, Herr Schwander! Früher trank man noch selbstverständlich ein Glas
Wein zum Businesslunch. Heute nicht mehr. Wieso?
Es ist wie ein ungeschriebener Kodex, der sich spätestens in den 2000er Jahren durchgesetzt hat. Heute wird man schief angeschaut, wenn man über Mittag ein Glas Wein bestellt. Man trinkt Mineralwasser, um nicht als Alkoholiker abgestempelt zu werden. Ob die Leute besser arbeiten, wenn sie zurück im Büro sind? Wenn ich mir gewisse Entwicklungen bei den Banken anschaue, dann muss ich sagen: Die Herren hätten vielleicht besser ab und zu genüsslich ein Glas Wein über Mittag getrunken und ernsthaft diskutiert statt nach dem Gym einen Gurken-Smoothie reingeschlürft. Interessant ist, dass unsere Gesellschaft meist vom einen Extrem ins andere kippt.
Vom Quasi-Trinkzwang zur neuen Nüchternheit.
Genau. Es braucht etwas Zeit, bis wieder Klarsicht herrscht. Es ist wie
überall im Leben eine Frage des Masses: Über Mittag zwei Flaschen zu
trinken, ist sicher nicht sinnvoll. Aber was spricht dagegen, in einem guten
Restaurant zum Essen ein Gläschen zu trinken?
Ärgert Sie der Zeitgeist, der die permanente Selbstoptimierung propagiert –
und damit auch einen möglichst gesunden Lebensstil?
Sehen Sie mich an! Ich esse gerne und hochwertig. Und ich liebe Wein. Es gibt bestimmt Leute, die aus guten Gründen keinen Alkohol trinken. Völlig in Ordnung, das muss jeder selbst wissen. Und dass fünf Prozent der Bevölkerung zu schwerem Alkoholismus neigen, darf nicht schöngeredet werden. Aber alles Extreme und Missionarische geht mir auf den Wecker. Vor zwanzig Jahren betrug der Pro-Kopf-Konsum in der Schweiz 47 Liter, heute sind wir bei 34 Litern. Noch nie wurde so wenig getrunken.
Nach den feuchtfröhlichen Festtagen schalten inzwischen viele einen «trockenen» Monat zur körperlichen Entgiftung ein – den «Dry January».
Bei mir geht es immer erst Mitte Januar los, weil sich über die Festtage noch einige Termine angestaut haben. Gerade als Weinhändler ist es gut, einige Wochen auf Alkohol zu verzichten, da halte ich meinen «Ramadan» – und zwar strikt: Reduzierter Winterdienst funktioniert bei mir nicht, ich habe auch schon auf phantastische Raritätendegustationen verzichtet. Früher während eines Monats, dann wurden es drei Monate am Stück. Seit einigen Jahren bin ich wieder vernünftiger und sage: Zwei Monate genügen. Ich lasse die vielbeschäftigten Organe zur Ruhe kommen. Und ich beweise mir: Ich ertrage das Leben zur Not auch mit Wasser.
Besser wäre ein ganzjähriger Verzicht, wenn man der Weltgesundheitsorganisation (WHO) glauben will. Sie hat kürzlich erklärt: «Das Risiko für die Gesundheit beginnt schon beim ersten Tropfen jedes alkoholischen Getränks.» Jeder Schluck bringt uns also näher ans Grab.
Zu meinem Bedauern hat auch die hochgeschätzte NZZ zweimal äusserst einseitig darüber berichtet – ohne kritische Beurteilung der zur Verfügung stehenden wichtigsten Studien. So wurde nur der kausale Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Krebs hervorgehoben. Und wie ich es nur von militanten Präventionsaposteln kenne: auf Panik gemacht. Dabei stieg laut einer globalen Untersuchung, die in der renommierten Medizinfachzeitschrift «The Lancet» veröffentlicht wurde, aufgrund des Alkoholkonsums die Rate von neu diagnostizierten neun Krebsarten mit ausreichenden Beweisen für einen kausalen Zusammenhang um 8,4 Fälle pro 100 000 Personen. Dieser Anstieg liegt bei mässigem Alkoholkonsum wahrscheinlich noch tiefer. Aber wissen Sie, was mich noch mehr aufregt?
Sie werden es mir gleich sagen.
Es wurde in den Zeitungsartikeln behauptet, Alkohol habe in jeder Dosierung negative Wirkungen. Das ist schlicht falsch! So wurde zum Beispiel in mehr als hundert Beobachtungsstudien über ein tieferes Risiko für die Erkrankung der Herzgefässe und für Herzinfarkt berichtet. Weiter liegen Arbeiten über ein tieferes Risiko für Schlaganfall, Altersdiabetes, Nierenkarzinom sowie stressbedingte Erkrankungen vor. Selbstverständlich reden wir hier immer nur von regelmässigem leichtem bis mässigem Konsum.
Als Historiker halte ich fest: Die Medizin ist keine exakte Wissenschaft, und die Studien sind offenbar nicht ganz leicht zu interpretieren.
Natürlich stehe ich als Weinhändler unter Generalverdacht, wenn ich Kritik übe. Aber ich lese seit dreissig Jahren solche Studien, habe sogar schon mit einem befreundeten Arzt, einem Experten mit Harvard Master of Public Health, dazu publiziert. Man lernt dabei sofort: Studien sind nicht gleich Studien. Die kritische Bewertung der Schlussfolgerungen ist essenziell und bedarf grossen Sachverstands. Wie ist die Qualität der Untersuchung? Was sind die Ergebnisse? Bestehen Verzerrungen, etwa eine Über- oder Unterschätzung aufgrund von tendenziöser Gruppeneinteilung? Sind die Resultate auf uns übertragbar? Um nur einige wenige Kriterien zu nennen.
Wieso dieses Misstrauen gegenüber der WHO?
Ich habe kein Misstrauen und verstehe ihre Mission. Für die WHO ist die gesamte Menschheit Patient, wir leben hier aber in Europa. Insgesamt gesehen ist die Gesundheitsbelastung der Weltbevölkerung durch Alkoholkonsum hoch, insbesondere unter den 15- bis 49-Jährigen. Wenn wir die absoluten Zahlen nehmen, scheinen gesundheitliche Schädigungen durch Unfälle, Gewalt, übertragbare Krankheiten sowie Krebs am meisten ins Gewicht zu fallen. Da sind aber Länder wie Nigeria und Russland inkludiert! Daher wird eine strikte Politik ohne jegliche Differenzierung vertreten. Aus meiner Sicht ist jedoch die Situation für den einzelnen Menschen mit leichtem bis mässigem Konsum in unseren Breitengraden in keiner Weise vergleichbar.
Es ist ein Merkmal unserer Zeit, dass immer mehr pathologisiert, reguliert und verboten wird.
Wenn einer mit Freunden einen guten Wein trinkt und später glücklich nach Hause geht, wirkt sich das, auch wenn es wissenschaftlich nicht quantifiziert werden kann, sicher positiv auf die Gesundheit aus. Und das ist doch gut so. Nicht umsonst spielt der Wein in unserer Kultur seit Jahrtausenden eine wichtige Rolle. Die Griechen und Römer hatten einen Weingott, Jesus machte aus Wasser Wein, Geselligkeit, Genuss und Rausch gehören zu uns. Ich frage mich, wo man als Nächstes Alarm schlagen wird: beim Skifahren? Es gibt doch so viele Verletzte auf den Pisten! Beim Autofahren, bei sehr salzigen Speisen? Das Leben ist lebensgefährlich. Es braucht nicht mehr Bevormundung, sondern mehr Respekt vor der Selbstverantwortung der Menschen.
Obwohl der Konsum in den letzten Jahrzehnten zurückging, ist Wein zum Lifestyle geworden. Es gehört zum guten Ton, darüber Bescheid zu wissen. Wie erklären Sie sich das?
Viele Sehnsüchte des modernen Menschen spiegeln sich im Wein. Vergessen Sie nicht: Ein Grossteil unserer Vorfahren waren Bauern. Dass wir das Bedürfnis nach Natur und einfachem Landleben verspüren, ist deshalb nur normal. Wein verbindet sinnliche Erfahrung mit Genuss – Erlebnisse, die wir in unserer technologisierten Arbeitswelt immer weniger haben. Weingegenden sind zudem meist kulturell bedeutende Regionen, die touristisch attraktiv sind. Entkorkt man eine Flasche, bringt einem das die Ferien in der Toskana oder im Bordelais zurück. Einen erstklassigen Weinkeller zu besitzen, bedeutet auch viel Prestige. Die Weinherstellung ist zudem faszinierend und äusserst komplex. Allein über die alkoholische Gärung könnten wir jetzt stundenlang diskutieren.
Als Sie sich einst für Wein zu interessieren begannen, war das noch ziemlich spleenig.
Meine Mutter war zu Recht entsetzt, machte sich Sorgen. Ich investierte mit 16 Jahren mein ganzes Sackgeld in Wein. Ich las den «Johnson», damals eine Art Bibel für Weininteressierte, und dachte naiv: «Schwander, jetzt weisst du alles über Wein!» Damals kostete ein Pichon Lalande vielleicht 30 Franken, heute ist es das Zehnfache! Die Nachfrage nach berühmten Weinen beschränkte sich auf Europa, dann kam Amerika dazu, später Russland und Fernost, heute will die ganze Welt diese Weine. Und wegen des Lifestyles: Wenn ich Anfang der 1990er Jahre einen Artikel über Wein in einer Zeitung schreiben wollte, musste ich zu Gott beten, dass es klappt. Heute berichtet fast jedes Medium regelmässig über Wein.
1996 wurden Sie der erste Schweizer Master of Wine. Was muss man bei dieser Weinprüfung können, die als strengste der Welt gilt?
Man muss ein umfassendes Wissen haben, vom weltweiten Rebbau und von der Vinifikation bis zum Marketing, und darüber konzise Aufsätze schreiben können, man muss 36 Weine blind verkosten sowie deren Herkunft und Charakter bestimmen. Wer da einen Beaujolais mit einem Château Latour verwechselt, ist out. In meinem Jahrgang schafften zwei von hundert die Prüfung. Weltweit gibt es etwa 400 Masters of Wine, alles Wein-Freaks. Aber mitunter auch Trockenschwimmer: Ich müsste mit meinen zwei linken Händen in einem Weingut zuerst angelernt werden.
Wenn es um Wein geht, beginnt oft das grosse Beeindruckungstheater: Es wird über Jahrgänge und Grands Cru gefachsimpelt, über Tannin und Terroir. Belustigt Sie das?
Es ist schön, wenn sich die Leute derart für Wein interessieren. Aber es nimmt zuweilen absurde Züge an. Am schlimmsten sind arrogante Leute mit Halbwissen. Sie meinen, weil sie schon viele teure Gewächse getrunken haben, verstünden sie viel von Wein. Da kann ich manchmal nur den Kopf schütteln. Wenn man diesen Etikettentrinkern einen unbekannten Wein bringt, schnöden sie. Würde ich ihn vorher in eine Château-Margaux- Flasche umfüllen, würden sie in Freudentränen ausbrechen.
Sind die horrenden Preise für berühmte Weine gerechtfertigt?
Der Markt gibt diese Preise her. Solche renommierten Weine haben eine grosse Geschichte und sind meist auch sehr gut. Aber wenn ich nur die Qualität anschaue, dann ist diese Preisentwicklung grotesk. Es gibt auch den Snob-Effekt. Wenn ein Wein einen gewissen Preis erreicht hat, gibt es ganz viele Leute, die sich erst dann dafür interessieren – und den Preis weiter in die Höhe treiben. Kürzlich hat mich ein Kollege mit grossem Weinkeller zum Mittagessen eingeladen: Er tischte zwei vorzügliche Flaschen Romanée-Saint-Vivant auf, zusammen ungefähr der Wert eines Kleinwagens.
Sie haben als Weinhändler eine andere Philosophie.
In den Weinhandlungen Martel und Reichmuth kaufte ich vor allem die gesuchtesten, teuersten Weine ein, das war wunderbar. Aber als ich mich selbständig machte, musste ich einen anderen Weg gehen: Die Spitzenweine waren so teuer geworden, ich hätte mir nie ein vernünftiges Lager aufbauen können. Zudem: Jeder kann einen Mouton Rothschild einkaufen. Ich sagte mir: Du bist Master of Wine, du kannst gut degustieren, du suchst jetzt unbekannte Weine mit hoher Qualität, die selbst neben kostspieligen Gewächsen bestehen. Wer im umkämpften Schweizer Markt mitspielen will, muss seine Nische finden. Die Zahl der Weinhändler ist in den letzten zwanzig Jahren von rund 2500 auf 4000 angestiegen.
Welches Basiswissen über Wein sollte man haben?
Man sollte die wichtigsten Traubensorten kennen und wissen, wie sie schmecken. Ich rate, zu einem guten Weinhändler zu gehen und sich typische Beispiele auftischen zu lassen. Man muss sie nebeneinander degustieren, um die Unterschiede zu memorisieren – einen Bordeaux, einen Burgunder, einen Rioja, einen Barolo und so weiter. Als Anfänger kann man Weine ohne direkten Vergleich nicht einordnen. Viele mögen zu Beginn volle, schwere Weine. Mit der Zeit lernt man auch nuancierte, elegante Weine schätzen. Und wichtig: Degustieren ist nicht gleich geniessen! Gefällt bei einer Verkostung ein Wein, sollte man unbedingt zuerst eine Flasche mit nach Hause nehmen und sie zum Essen trinken.
Wer die Beschreibungen der Weine liest, staunt mitunter über die Phantasie der Händler.
Ich finde das eher peinlich. Man muss einen Wein so beschreiben, dass sich ein Normalbürger etwas darunter vorstellen kann, also ob ein Wein schwer, leicht, herb oder rund ist. Sicher nichts Wichtigtuerisches wie «geröstete Weichselkirschen mit einem Unterton von Vanille». Bei der Master-of- Wine-Prüfung hiess es klipp und klar: «No fruit salad in your tasting notes.»
Wie entscheidend ist der Jahrgang eines Weins?
Es kommt auf die Region an. Im Burgund und im Bordelais ist der Jahrgang sehr wichtig, aber in wärmeren Regionen, in denen das Wetter beständiger ist, spielt er oft eine geringere Rolle. Das heisst: Die sehr unterschiedlich hohen Preise sind nur zum Teil gerechtfertigt.
Welche Temperatur soll ein Rotwein haben?
Beim Ausschenken ideal sind 12 bis 16 Grad Celsius. Die Temperatur im Glas steigt schnell an. Es ist eine Schande, Rotwein zu warm aufzutischen! Die Italiener sind die Schlimmsten, die servieren im Sommer beinahe schon Glühwein. Die Aromatik eines Rotweins zerfällt bei 25 Grad komplett.
Sind die Weine in den letzten Jahrzehnten besser geworden?
Unbedingt. Die technischen Möglichkeiten sind heute vielfältig. Und durch die weltweite Konkurrenzsituation ist die Qualität massiv gestiegen. Vor allem die einfachen Weine sind besser geworden. Wer keinen Wert auf bekannte Namen legt, kann heutzutage durchaus einen sehr hochwertigen Wein unter zwanzig Franken bekommen.
Wie sehen Sie den Trend zu mehr Bio-Weinen?
Einerseits sehr positiv. Er hat dazu geführt, dass die Winzer viel weniger Spritzmittel ausbringen. Aber auch konventionelle Weine werden heute viel schonender als früher produziert. In besonders trockenen Gebieten muss ohnehin viel weniger gespritzt werden, weil dort ohne Feuchtigkeit keine Pilzkrankheiten entstehen. Andererseits ist im biologischen Weinbau Kupfer zur Bekämpfung des Mehltaus zugelassen, das oft mehrfach ausgebracht werden muss – meist mit Dieseltraktoren. Ist das extrem biologisch? Wichtig zu wissen ist, dass Wein ein Lebensmittel ist, das per se meist geringe Rückstände aufweist. Bei der Gärung und anschliessenden Reifung im Fass werden viele schädliche Stoffe metabolisiert und Schwermetalle ausgefällt. Obst und Gemüse sind da problematischer.
Retour à la nature: Der Zeitgeist zeigt sich auch im Rebberg.
Viele dieser Herstellungsarten, die gerade gefeiert werden, entsprechen dem Zeitgeist. Dazu gehören auch biodynamisch produzierte Weine. Ich bin der Meinung, dass Mondphasen einen Einfluss haben auf den Rebbau. Aber wenn auch noch Tierhörner vergraben werden, wird es mir zu esoterisch. Ich kenne Winzer, die das mit und ohne probiert haben – ohne merklichen Unterschied. Im Bioweinbau gibt es ausserdem noch zu viele Dogmen.
Ich nehme an, bei den Naturweinen sind Sie noch skeptischer.
Ich kam in Georgien schon damit in Kontakt, bevor in Zürich, London oder Wien der Hype losging. Es gibt selbstverständlich sehr gute Naturweine oder Orange-Weine. Aber man findet sie nicht oft, weil die Herstellung extrem anspruchsvoll ist. Häufiger sind sie fehlerhaft, oxidiert oder riechen nach Sauerkraut. Da gibt es ganz grässliche Sachen! Es ist ein Zeichen der Dekadenz und Inkompetenz, wenn fehlerhafte Produkte hochgejubelt werden. Der Metzger sagt Ihnen ja auch nicht, dass sein halbvergammeltes Fleisch eine natürliche Delikatesse sei, weil er es wie früher ohne Kühlschränke lagere.
Wo liegt das Problem bei den Naturweinen?
«Naturwein» ist kein geschützter Titel, es wird damit viel Schindluder getrieben. Ein häufiges Problem ist der zu geringe Schwefelanteil. Er führt dazu, dass die Weine viel schneller oxidieren und dadurch oft mehr Histamin entwickeln, das Hauptverursacher von Kopfschmerzen ist. Schwefel wird zu Unrecht verteufelt, bei vielen Weinen ist der Gehalt heute tief. Isst man eine Packung Dörrfrüchte, nimmt man so viel Schwefel zu sich, wie wenn man mehrere Flaschen Wein trinkt.
Hingegen stört es kaum, wie viele Weine mit Zusätzen erst superbekömmlich und passend für den Massengeschmack gemacht werden.
Schon früher wurden mässige Weine mit allerlei Tricks aufgemotzt. Leider wird heute bei gewissen Rotweinen Zucker zugesetzt, weil sich die Konsumenten zu sehr an den süssen Geschmack gewöhnt haben. Die Weine aus Apulien sind da unrühmliche Vorreiter. Manche Rotweine enthalten bis zu dreissig Gramm Restzucker pro Liter. Das sind schon fast Limonaden. Es ist skandalös, dass das nicht gross auf dem Etikett angegeben werden muss.
Was kommt als Nächstes? Die chinesischen Weine?
Es gibt inzwischen einige wenige gute chinesische Weine, aber sie sind meist unverhältnismässig teuer. Das Gros der Erzeugnisse ist noch nicht konkurrenzfähig. Die Weinproduktion ist eine sehr langfristige Arbeit, die viel Erfahrung voraussetzt. So werden die besten Weine nach wie vor in Frankreich gekeltert, das auf eine lange, hochstehende Weintradition zurückblicken kann. Mit Ausnahme vielleicht der Weissweine, bei denen die Deutschen im Spitzensegment unübertroffen sind. Aber die anderen klassischen Weinnationen haben massiv aufgeholt. Italien erzeugt phantastische Weine und auch Spanien, das punkto Preis/Leistung vermutlich führend ist.
Und wie steht es um die Schweiz?
Ich wurde einst als Totengräber des Schweizer Weinbaus angefeindet, weil ich für die Liberalisierung des Marktes eingetreten bin. Mit etwas Distanz lässt sich sagen: Die Qualität unserer Weine ist seither dramatisch gestiegen, und mittlerweile findet man in der ganzen Schweiz superbe Qualitäten. Das Problem ist heute eher: Die Winzer, die richtig gut sind, haben zu wenig Wein. Die Nachfrage ist viel grösser als das Angebot. Diese Spitzenweine erzielen zwar auch gute Preise, sind aber im internationalen Vergleich immer noch vergleichsweise preiswert. Und es wird noch besser: Der Klimawandel hilft den Schweizer Weinen eindeutig.