Allen Beteiligten ist klar: der Jahrgang 2011 erreicht nie und nimmer das Niveau der Jahrgänge 2009 und 2010.
Umso bezeichnender ist es, wie die Bordelaiser einmal mehr nichts unversucht lassen, auch einem schwierigen Jahr einen Glorienschein zu verleihen. So waren sich einige Produzenten nicht zu schade, das herrliche Wetter Ende September hervorzuheben. Das stimmt tatsächlich: Das Wetter war sogar bis in den Oktober hinein prächtig. Nur war da die Ernte schon längst eingebracht!
Speziell mutet auch die Begleitbroschüre von Cos d'Estournel, einem Deuxième Grand Cru classé aus dem St-Estèphe, zum Jahrgang 2011 an. Mit keinem Wort ist darin der schreckliche Hagelsturm vom 1.September erwähnt der St-Estèphe in Mitleidenschaft zog und die Cos Crew zwang, deutlich früher zu lesen als geplant. Ein Journalist, der diesen Hagelsturm in einem Blog thematisierte, wurde vom Cos-Direktor verwarnt, und der entsprechende Eintrag musste gelöscht werden. Auch die Probleme mit Fäulnis Anfang September werden von vielen Produzenten bagatellisiert oder häufig ganz verschwiegen.
Extreme Trockenheit
2011 gebärdete sich das Wetter sehr kapriziös. Kurz resümiert herrschte im Frühjahr bereits Sommer, und im Sommer verzeichnete man schon herbstliche Temperaturen. So war der April der zweitwärmste seit dem Jahr 1900. Bereits am 7. April stiegen die Temperaturen auf 30 Grad. Kennzeichen des Jahrgangs ist die sehr zeitige Blüte um den 10. Mai herum, drei Wochen früher als üblich. Im Mai lagen die Temperaturen beinahe um fünf Grad(!) über dem langjährigen Durchschnitt. Bis in den Juni hinein war es ausserordentlich warm und trocken.
Die Trockenheit machte den Reben zunehmend zu schaffen, nicht zuletzt, weil bereits 2009 und 2010 sehr niederschlagsarm waren. Im Mai fielen 8 mm Regen, der langjährige Durchschnitt für diesen Monat liegt bei 83 mm. Im Juni litten insbesondere die Reben von durchlässigen Böden stark unter der Trockenheit. Einen grossen Einfluss hatte die Hitzewelle vom 26. und 27. Juni, als nicht weniger als 40 Grad gemessen wurden: Viele Trauben und Blätter verbrannten regelrecht. Zahlreiche, noch grüne Trauben wurden auf einen Schlag hellbraun und schrumpften ein. Diese Beeren mussten entfernt werden, wollte man nicht bittere Gerbstoffe riskieren. Hatte bereits die Trockenheit im vorherigen Jahr die Winzer vor grosse Probleme gestellt - 2011 war sie noch viel gravierender.
Regen und kühler Sommer
Der Juli und der August zeigten sich kühler und regnerischer als üblich: 153 mm gegenüber106 mm Niederschlag im langjährigen Durchschnitt. Im August herrschte Aprilwetter: Zuerst schwerer Regen, später war es sonnig und trocken, am 23.August flutartiger Regen, nachher erneut Sonne. Die Regenfälle kamen leider zu spät, um die Reifeblockaden zu beheben, die durch die Dürre verursacht worden waren.
Die sogenannte «véraison»(der Farbwechsel der Traubenbeeren) verlief unregelmässig und über einen längeren Zeitraum, was später bei der Lese problematisch ist, weil unreife Beeren nicht einfach von reifen Beeren zu unterscheiden sind.
Ende August bis Anfang September fiel wieder massiv Regen. Hätte dieser Regen länger angedauert, wäre der Jahrgang verloren gewesen, denn die ohnehin bereits vorhandene Fäulnis hätte sich aufgrund der fortgeschrittenen Reife der Trauben rasend schnell ausgebreitet. Glücklicherweise war der grösste Teil des Septembers sonnig, was das Fäulnis Problem ein wenig entschärfte.
Wie mehrere Insider bestätigen, hat man in diesem Jahr keinen Rebberg ohne Fäulnis gesehen, mögen auch viele Winzer behaupten, sie hätten kerngesunde Trauben geerntet. Den meisten Produzenten war das Risiko zu gross, weiter zuzuwarten. So standen sie häufig vor dem Dilemma, Fäulnis zu verhindern, aber dennoch eine ausreichende Reife der Tannine anzustreben. Die Ernte begann bereits Anfang September und Ende des Monats war sie praktisch überall beendet. Eine derart frühe Lese gab es das letzte Mal im heissen Jahr 2003.
Das Libournais mit seiner früheren Reife profitierte 2011 gegenüber den später reifenden Lagen im Médoc, die normalerweise erst im Oktober gelesen werden. Aufgrund der ungleichmässigen Ausreifung der 'Trauben war eine strenge Selektion Grundbedingung für eine gute Qualität. Dass zahlreiche Châteaux tatsächlich ausgezeichnete Arbeit leisteten, zeigte sich in den teilweise doch sehr erfreulichen Weinen ohne grüne Aromen. Eine Schlüsselstellung nahm en die immer häufiger eingesetzten. optischen Sortiergeräte ein, die nach vorgegebenen Kriterien jede einzelne Beere prüfen und aussortieren können Die Anlage kostet allerdings bis zu 200000 Euro und eignet sich nicht für jede Art der Sortierung. Die beidenPremiers Grand Cru classé Mouton-Rothschild und Haut-Brion sonderten mit diesen Geräten weitere 5 bis 8 Prozent der Ernte aus. Diese geringen Mengen können auf die Qualität des Weines bereits einen grossen Einfluss haben.
Klassische Weine
Der Stil der 2011er wird häufig als «klassisch» beschrieben. Im Gegensatz zu den alkoholreichen, sehr üppigen 2009ern und201oern liegt der Alkoholgehalt 2011wieder im normalen Bereich. Die Aromatik ist frisch. Manche Weine bestechen durch Eleganz und verführerischen Charme. Vielen Gewächsen mangelt es jedoch an Fleisch, die Säure ist spürbar hoch, und oft besitzen sie trocknende Gerbstoffe. Diese resultieren. einerseits aus den Reifeblockaden aufgrund der Trockenheit und der ungenügenden physiologischen Reife, andererseits aus einer zu starken Extraktion. Die Beeren waren 2011 sehr klein und enthielten teilweise noch grössere Mengen Gerbstoff als die bereits äusserst tanninreichen 201oer. So war bei der Maischegärung allergrösste Vorsicht geboten.
In St-Emilion und Pomerol, wo der Merlot dominiert, degustierten wir zahlreiche Weine, die überraschend gelungen waren. Sie profitierten von der früheren Reife und schienen alles in allem homogener als jene des Médoc, obwohl gerade die Cabernets teilweise sehr gut gelangen. Auch fiel in diesen Appellationen in der kritischen Zeit Ende August deutlichweniger Regen als im Médoc.
Ausone aus dem St-Emilion betörte einmal mehr durch seine Vielschichtigkeit. Allerdings war der Wein deutlich leichter als in den letzten Jahren. Distinguiert und sehr gelungen ist Figeac, wie auch das angrenzende La Tour Figeac, das preislich hochinteressant sein dürfte. Exquisit und sehr fein schmeckte Vieux-Château-Certan aus dem Pomerol. Olivier Berrouet präsentierte uns einen wunderbar geschmeidigen, eleganten Pétrus. Einen der schönsten Weine erzeugte dieses Jahr Denis Durantou von L'Eglise Clinet. Sein Wein besass eine köstliche Frucht und viel Finesse.
Im Medoc überzeugten St-Julien und Teile von Pauillac besonders. Die leichteren Böden der Gemeinde Margaux schienen die Trockenheit weniger gut verkraftet zu haben, obwohl Château Margaux und Palmer trotz Hagel sehr gute Weine hervorgebracht haben. St-Estèphe wurde teilweise durch den schrecklichen Hagelschlag vom 1. September heimgesucht. Cos-d'Estournel kelterte zwar einen beeindruckenden, wuchtigen Rotwein, aber die Tannine schienen doch sehr dominant. Auch Lafite-Rothschild aus dem Pauillac wurde zu einem kleinen Teil vom Hagel beeinträchtigt, weil sich eine 4,5 Hektar grosse Parzelle in St-Estèphe befindet.
Latour gelang ein nobler, klassischer Wein, den man ohne Zweifel zu den Besten des Jahres zählen darf. Auch Mouton-Rothschild überzeugte mit einem noch zurückhaltenden, aber sehr distinguierten Wein. Von gewohnt hoher Qualität war Pichon-Baron. Fruchtig und mit mehr Körper als üblich überraschte Pichon-Lalande. Sylvie Cazes, die Schwester von Jean-Michel Cazes von Lynch-Bages, kümmert sich seit über einem Jahr um das bekannte Weingut und liess uns wissen, dass es ihr Ziel sei, einen kräftigeren Pichon-Lalande als bisher zu gewinnen.
Die kieshaltigeren, hitzeempfindlicheren Böden des Graves überzeugten 2011 weniger als sonst. Zwar gelangen den renommierten Gütern äusserst ansprechende Weissweine, aber zu den grossen Gewinnern darf man die Region bestimmt nicht zählen. Dagegen überzeugten die süssen Dessertweine aus Sauternes, ohne allerdings das Niveau der 2001er und 2007er zu erreichen.
Unsanfte Landung?
Was letztes Jahr schon zu erahnen war, zeigte sich heuer auf drastische Weise. Die völlig überrissenen Preise der berühmtesten Châteaux waren fast ausschliesslich auf die Nachfrage der Chinesen zurückzuführen. Hinter vorgehaltener Hand erfährt man nun, dass sich die 2010er deutlich weniger gut als die 2009er verkauft haben. Viele Händler verfügen noch über beträchtliche Bestände, und - noch schlimmer - zahlreiche 2010er-Bestellungen sind in jüngster Zeit von den Chinesen annulliert worden.
Wenigen Château-Besitzern ist wohl bewusst gewesen, dass die meisten Chinesen Bordeaux lediglich als verlockende Investition sahen. Die stark steigenden Preise animierten die chinesischen Käufer - mit einer besonderen Liebe zu diesen Weinen hatte dies nichts zu tun. Nun, da die Preise sinken, reduzieren viele ihr Engagement.
Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Nachfrage nach den 2011ern bescheiden sein wird, nicht zuletzt auch deshalb, weil vielen Abnehmerländern das Geld für weitere Investitionen in Bordeaux fehlt. So sitzt beispielsweise der englische Weinhandel noch auf beträchtlichen Beständen des Jahrgangs 2010, die er nach China zu verkaufen hoffte.
Entsprechend knapp bei Kasse sind die Briten. Teure Bordeaux dürften in den meisten anderen europäischen Ländern nicht erste Priorität geniessen. Auch in der Schweiz dürfte sich die Nachfrage in Grenzen halten.
Immerhin scheinen die Produzenten im Bordelais den Ernst der Lage erkannt zu haben: Der 2011er Cos-d'Estournel wird vom Grosshandel für 108 anstelle von 198 Euro (2010) angeboten. So früh wurden die Preise schon lange nicht mehr bekanntgegeben. Lafite bequemte sich, seinen Wein für 450 Euro auf den Markt zu bringen, was einer Preissenkung von lediglich 25 Prozent entspricht. Ob diese Preisnachlässe ausreichen, ist unsicher. Die Verkäufe beider Crus verliefen recht schleppend. Sehr spannend dürfte indes werden, wie sich der Primeurmarkt weiter entwickelt. Für grosses Aufsehen sorgte die Ankündigung von Château Latour, dass der 2011er der letzte Jahrgang sei, den man en primeur anbiete. Ob andere Güter dem Beispiel folgen werden, ist fraglich. Schliesslich erlaubte das bisherige System, die Weine möglichst teuer zu verkaufen und rasch Liquidität zu generieren.