Sehen wir mal von der Glaubensfrage
ab, ob man Weine aus Bordeaux sub- skribieren, en primeur kaufen soll oder
eben warten, bis sie realiter auf dem Markt erhältlich sind. Es ist dies ohnehin ein Dilemma, das eher Investoren umtreibt als den Weinfreund zu ebener Erde. Der hält
sich gewöhnlich an Faustregeln der simp- leren Art wie die «In grossen Jahren klei- ne Weine kaufen, in kleinen grosse». Was aber macht er im Fall eines Jahrgangs wie 2021? Der, wie Philipp Schwander un- längst in der NZZ schrieb, «das gesamte Qualitätsspektrum aufweist. Von gross- artig bis miserabel ist alles vertreten.»
Zudem zu Verkaufspreisen, die «leider zu hoch» seien.
Was tun? Auf andere, weniger renom- mierte Zonen ausweichen, sich zum Bei- spiel wieder mal im französischen Süd- westen umsehen, so in Cahors, oder gar
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jenseits der Pyrenäen? Schön und gut. Was
aber, wenn einer ein enragierter Bordeaux-
Liebhaber ist? Er findet näherliegende Lö-
sungen. Bordeaux ist nicht gleich Bordeaux.
Die Qualität der kleineren Provenienzen, der
Crus Bourgeois, hat in den letzten Jahren Oahrzehnten) markant zugenommen. Vor
allem: Es gibt jenseits der gefeierten Appel- lationen, der Crus Classés in Margaux, Pau- illac, Saint-Julien, Graves, Pomerol, Saint- Emilion, noch Landstriche im Bordeaux, in denen veritable Entdeckungen auf alle war- ten, die nicht zur Sorte der Etikettentrinker gehören. Appellationen wie Fronsac, Canon Fronsac, Côtes de Castillon, Côtes de Bourg. Und Côtes de Blaye, gegenüber Margaux auf dem rechten Ufer im Mündungsgebiet der Gironde gelegen.
Von dort kommt ein stupender Weisswein, den Schwander in seiner «Selection» an-
bietet. Sein Produzent ist Château Haut Bertinerie, ein Gut mit nicht weniger als 78 Hektar Rebfläche, rund dreissig Kilometer westlich von Saint-Emilion gelegen. Eric Bantegnies führt es zusammen mit seinem Bruder Frantz. Sie machen exzellente Rot- weine, aber eben auch diesen erstaunlichen reinen Sauvignon blanc, der mit seiner sub- tilen Aromatik (Zitrus, Ananas, auch Noten von etwas Heu und einer Spur Honig), vor
allem aber mit seiner Fülle und Länge jedes Sortenklischee vergessen lässt. Hochelegant, keine vordergründig grüngrasige Nase; aber, wiewohl in neuen Fässern ausgebaut, auch keine aufdringlichen Holznoten.
Die Bantegnies verzichten, anders als die meisten renommierten Weissweinerzeuger
aus dem Bordeaux (Fieuzal, Domaine de Chevalier, Smith Haut-Lafitte etc.), auf einen Anteil Sémillon. Was ihren «Grand Vin Blanc» nur um so eigenständiger, aber durchaus im Niveau mit der kostspieligeren Konkurrenz vergleichbar macht. Nicht
von ungefähr gilt Haut Bertinerie als der «inoffizielle Grand Cru des Blayais».