Ihr Newsletter-Abonnement wurde erfolgreich registriert.
News
Spezialetikett Château Ramafort, Edition Meryon
Charles Meryon (1821 – 1868), L’Abside de Notre-Dame de Paris, 1854
Charles Meryon (1821 – 1868)
L’Abside de Notre-Dame de Paris, 1854
Radierung, Grabstichel und Kaltnadel, Schneiderman 45 IV (von IX)
Charles Meryon, heute vielen unbekannt, war zweifellos einer der grössten französischen Radierer des 19. Jahrhunderts. Geboren wurde er als uneheliches Kind der Operntänzerin Pierre-Narcisse Chaspoux und des britischen Arztes Charles Lewis Meryon, der ihn erst 1824 als seinen Sohn anerkannte. Seine Halbschwester Fanny, die ihn finanziell immer wieder unterstützte, entstammte einer Liaison seiner Mutter mit William Lowther, Earl of Lonsdale. Meryon wollte ursprünglich Maler werden, stellte aber bald fest, dass er farbenblind war. Er war einer der ersten Künstler im 19. Jahrhundert, der sich ganz der Radierung verschrieb, obwohl um 1846 die Lithographie in der Druckgraphik dominierte.
Berühmt wurden Meryons Ansichten von Paris.Das Erscheinungsbild der französischen Hauptstadt veränderte sich im Zug der von Napoléon III. vorangetriebenen Modernisierungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts völlig. In den Jahrzehnten zuvor hatte sich die Pariser Bevölkerung verdoppelt und Krankheiten (z.B. Cholera 1832 und 1849) waren weitverbreitet; nirgendwo in Frankreich lag die Sterblichkeit höher als in der Hauptstadt. 1853 ernannte Napoléon III. Georges-Eugène Haussmann zum Präfekten, um die übervölkerte, mittelalterlich geprägte Stadt mit ihren engen, häufig verwahrlosten Gassen in eine moderne Metropole mit höheren Hygienestandards zu transformieren. Unter Haussmann wurden Kanalisation und Wasserversorgung umfassend modernisiert, und es entstanden die bis heute das Bild von Paris prägenden Bauten und Anlagen: grosszügige Boulevards, weitläufige Grünanlagen sowie monumentale Bahnhöfe, Theater und Markthallen. Die Neugestaltung war gigantisch und führte oft auch zu Kritik. So wurden alleine zwischen 1860 und 1869 über 15'000 Häuser abgerissen.
Meryon war ein äusserst präzise und penibel arbeitender Künstler, der bis mindestens 1854 einen Teil seiner Radierungen mit beeindruckender Fachkenntnis auf seiner eigenen Presse selbst druckte. Dabei bearbeitete er die eingefärbten Platten mit speziellen Wischtechniken und war sich auch der Effekte unterschiedlicher Papiere und Drucktinten bewusst. In den 22 Eaux-fortes sur Paris, die seinen Ruf begründeten, illustriert Meryon u.a. auf sehr persönliche Weise das mittelalterliche Paris, das den von Napoléon III. initiierten Veränderungen partiell anheimfiel. Als Abschluss dieser Serie und als eines seiner Meisterwerke gilt L’Abside de Notre-Dame de Paris, die mit dem IV. Zustand vollendet wurde. Meryon wählte eine Ostansicht und ein ähnlich längliches Format wie bei seiner Radierung Le Pont-au-Change. Es zeigt die gotische Kathedrale vor der Errichtung des spitzen Vierungsturmes (Flèche), der 1859 fertiggestellt wurde. Die minutiöse architektonische Wiedergabe und die den monumentalen Charakter von Notre-Dame hervorhebende Bildgestaltung aus einem niederen Blickwinkel sowie die hinreissende Inszenierung des u.a. von den Dachziegeln der Kirche reflektierten Lichts, führte zu einer grandiosen, für Meryon unüblich heiteren Hymne auf dieses imposante Bauwerk.
Meryons nüchtern-romantische Radierungen sind im Grunde Reflexionen über die Stadt (‹vues sur Paris›) und entwickeln ihre eigentümliche Wirkung «aus der Ambivalenz einer Darstellung, die scheinbar ein Abbild der Wirklichkeit ist, und sich bei aller Objektivität und Präzision doch immer wieder in die Bereiche persönlicher Phantasie entzieht» (Margret Stuffmann, Städelsches Kunstinstitut Frankfurt). Eindrücklich ist auch der von ihm durch die besondere Bearbeitung erzielte gemäldeähnliche, malerische Effekt. Charakteristisch sind zudem die dunklen Schatten sowie die überspitzten, vermutlich von Piranesi beeinflussten Perspektiven. Im Petit Pont bildete er die Notre-Dame bewusst viel zu gross im Verhältnis zu den anderen Gebäuden ab; für Le Pont-au-Change wählte er eine extreme Weitwinkel-Optik. Aufmerksamkeit verdienen die Wolkengebilde, die – wie auch die immer wieder auftauchenden, unheimlichen Vogelschwärme – ebenfalls zur Dramatisierung beitragen. Nicht zuletzt wird die Monumentalität der abgebildeten Bauwerke durch winzige Figuren betont.
Seine Werke wurden von vielen Zeitgenossen bewundert, darunter auch Victor Hugo. Er ist Meryon nie begegnet, da er von 1851 bis 1870 im Exil lebte. Gleichwohl erwarb er über Baudelaire Radierungen von Meryon und liess ihm ausrichten, wie überragend er diese fand: «Puisque vous connaissez M. Méryon, dites-lui que ses splendides eaux-fortes m’ont ébloui. Sans la couleur, rien qu’avec l’ombre et la lumière, le clair-obscur tout seul et livré à lui-même, voilà le problème de l’eau-forte. M. Méryon le résout magistralement. Ce qu’il fait est superbe. Ses planches vivent, rayonnent et pensent. Il est digne de la page profonde et lumineuse qu’il vous a inspirée.»Victor Hugos historischer Roman ‹Notre-Dame de Paris› von 1831 trug übrigens wesentlich zur Wiederentdeckung der Gotik in Frankreich und neuen Wertschätzung von Notre-Dame und damit zur Rettung der Kathedrale bei;Anfang des 19. Jahrhunderts befand sie sich in einem baufälligen Zustand, und es wurde sogar ein Abbruch erwogen. Wenige Jahre nach Erscheinen des Buches entschied man sich dann aber für eine Restauration, die zwischen 1845 und 1864 vom berühmten Architekten Eugène Viollet-le-Duc durchgeführt wurde.
Charles Baudelaire, der berühmte Lyriker, der Meryons Werke 1859 entdeckte, war ein grosser Bewunderer des Künstlers.«… J’ai rarement vu représentée avec plus de poésie la solennité naturelle d’une ville immense. …» Er traf sich sogar mit Meryon, um gemeinsam einen Gedichtband mit dessen Arbeiten zusammenzustellen. Leider wurde dieses Projekt aufgrund der zunehmenden psychischen Probleme Meryons verunmöglicht. Er litt immer mehr an Verfolgungswahn, fühlte sich von Feinden umzingelt und behandelte selbst engste Freunde abweisend und schroff. Meryon starb schliesslich 1868 im Alter von 47 Jahren im Hospiz zu Charenton in geistiger Umnachtung; man geht davon aus, dass er an Schizophrenie erkrankt war.
Preisentwicklung von Meryons Arbeiten Anfang des 20. Jahrhunderts waren Meryons Radierungen in Europa und Amerika ausserordentlich gefragt. Nicht einmal Arbeiten von Dürer oder Rembrandt erfuhren eine derart hohe Wertsteigerung in so kurzer Zeit. Exemplare der L’Abside de Notre-Dame wurden im Jahr 1870 zwischen 4 und 5 £ gehandelt;im Jahr 1920 erbrachte ein vierter Abzug (wie auf dem Ramafort-Etikett) 602 £, ein dritter Zustand der Abside wurde im selben Jahr gar für sagenhafte 1220 £ verkauft. Zum Vergleich: Ein Feuerwehrmann erreichte 1920 in Grossbritannien ein Jahressalär von 72 £.Zu dieser Zeit waren Meryons Radierungen sogar häufig um ein Vielfaches teurer als jene von Rembrandt. Die damalige überbordende Euphorie ist mittlerweile verflogen, Meryons Arbeiten sind aber nach wie vor in den Sammlungen der wichtigsten Museen der Welt vertreten und bei einem relativ kleinen Kern von Kennern (z.B. Georg Baselitz) äusserst gesucht, obwohl sie gegenwärtig selten Preise über 10'000 Franken erzielen.
Literatur (Auswahl):
Roger Collins, Charles Meryon – A Life, Robin Garton Ltd, 1999
James D. Burke, Charles Meryon Prints, Yale University 1974
Richard S. Schneiderman, The Catalogue Raisonné of the Prints of Charles Meryon, Garton & Co. 1990
Loys Delteil & Harold J.L. Wright, Catalogue raisonné of the etchings, New York 1924
Charles Baudelaire, Correspondance, Band I, Gallimard 1973
Charles Baudelaire, Oeuvres complètes, Band II, S. 666ff., Gallimard 2024.
Wiedereröffnung der Notre-Dame de Paris am 7. Dezember 2024
Die frühgotische Kathedrale Notre-Dame de Paris ist eines der bedeutendsten Symbole der französischen Geschichte und eine der eindrücklichsten Kirchen überhaupt. Erbaut wurde sie zwischen 1160 und 1345 – zu Beginn dominierten im Chorbereich noch romanische Elemente, bis dann der Wechsel zur Gotik vollzogen wurde. Das Kirchenschiff ist 130 m lang und bietet 10'000 Menschen Platz.Vor dem Grossbrand im April 2019 war Notre-Dame mit jährlich 14 Millionen Besuchern das meistbesichtigte Kulturdenkmal Frankreichs.Die Flammen beschädigten die Kathedrale damals beträchtlich. So stürzte der Dachstuhl ein, der aus überwiegend 800jährigen Eichenbalken bestand, und der 1859 eingeweihte, 96 m hohe Vierungssturm durchschlug das Gewölbe. Im Feuer schmolzen rund 400 Tonnen Blei (u.a. Bleiverkleidungen im Dach); die Chorstühle und die grosse Orgel wurden versengt oder durch das Löschwasser unbrauchbar gemacht; die Turmuhr erlitt Totalschaden. Bereits am Tag nach dem Brand standen Zusagen in Höhe von 850 Millionen Euro für den originalgetreuen Wiederaufbau zur Verfügung. Da keine Baupläne aus dem Mittelalter vorlagen, war dieser eine unglaubliche technische und logistische Herausforderung. Bei der Rekonstruktion enthüllte sich dann die besondere Bauweise, welche die Errichtung des mit 33 m dazumal höchsten Kirchenschiffs mit erstaunlich dünnen Mauern und Decken ermöglicht hatte. Man stellte ausserdem überrascht fest, dass zur Halterung und Verbindung der Steine bereits im 12. Jahrhundert Eisenklammern eingesetzt wurden. Damit gilt Notre-Dame als erste gotische Kathedrale, die auf diese Weise erbaut worden ist. Übrigens stammten die im Dachstuhl verbauten – und entgegen der weitverbreiteten Meinung – recht jungen, 50- bis 80jährigen, maximal 30 cm dicken Eichen aus speziell angelegten Kulturwäldern. Diese dienten dazu, die konstante Versorgung mit Eichenholz zu gewährleisten. So wurden die Bäume durch eine gezielt enge Bepflanzung und einen entsprechenden Lichtmangel gezwungen, schnell in die Höhe zu wachsen, und bildeten aufgrund des fehlenden Platzes kaum Seitenäste. Sie mussten daher vor ihrer Verwendung lediglich von der Rinde befreit und nur geringfügig bearbeitet werden. Für den Bau einer Kathedrale reichte bereits eine Waldfläche von drei bis vier Hektar aus. Arte France hat eine sehr interessante Dokumentation über die Restaurationsarbeiten und geschichtlichen Hintergründe produziert (‹Notre-Dame, die Jahrhundertbaustelle›).
Am 7. Dezember 2024 erfolgte die offizielle Wiedereröffnung der Kathedrale Notre-Dame.